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Grisebach
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31 Max Beckmann

Leipzig 1884 – 1950 New York

„Braunes Meer mit Möwen“. 1941

Öl auf Leinwand. 55,5 × 95 cm (21 ⅞ × 37 ⅜ in.) Oben rechts signiert, bezeichnet und datiert: Beckmann A[msterdam] 41

Provenienz

Nora von Schnitzler, Münstereifel (1941) / Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen

EUR 1.200.000 - 1.500.000

USD 1.410.000 - 1.770.000

Verkauft für:

1.465.000 EUR (inkl. Aufgeld)

Herbstauktionen 2017

Ausgewählte Werke, 30. November 2017

Ausstellung

Max Beckmann 1884–1950, Wuppertal, Kunst- und Museumsverein, im Städtischen Museum, 1956, Kat.-Nr. 52 („Holländische Landschaft“) / Malerei des 20. Jahrhunderts in Kölner Privatbesitz. Köln, Kölnischer Kunstverein, 1957, Kat.-Nr. 9, m. Abb. („Nordsee bei Zandvoort“) / Expressionismus aus rheinischem Privatbesitz. Bonn, Kunstverein, im Rheinischen Landesmuseum, 1965, Kat.-Nr. 5 („Nordsee bei Zandvoort“) / Max Beckmann, Landschaft als Fremde. Hamburg, Kunsthalle; Bielefeld, Kunsthalle, und Wien, Kunstforum, 1998/99, Kat.-Nr. 57, S. 129 u. Abb. S. 138

Literatur und Abbildung

Erhard Göpel (Hg.): Max Beckmann, Tagebücher 1940–1950. München und Zürich, R. Piper, 1984, S. 30 (Eintrag vom 18.2.1941 und vom 27.2.1941) / Susanne Rother: Beckmann als Landschaftsmaler. München, scaneg, 1990 (= Beiträge zur Kunstwissenschaft, Bd. 34), S. 102 / Jörg Bong: Schau auf das Meer, es tröstet dich, in: Grisebach – Das Journal, Ausgabe 7/2017, S. 14–17, Abb. S. 16/17

Elke Ostländer: Max Beckmanns Symbolbild des Exils „[...] das Meer, meine alte Freundin, zu lange schon war ich nicht bei dir. Du wirbelnde Unendlichkeit mit deinem spitzenbesetzten Kleide. Ach, wie schwoll mein Herz“, schrieb Max Beckmann in einem Brief vom 16.3.1915 aus Ostende an seine erste Frau Minna (Max Beckmann Briefe Bd. I, 1899–1925, München, 1993, S. 108). Das Meer war bereits zu diesem Zeitpunkt ein Hauptthema für ihn, wie nicht zuletzt sein hochgerühmtes Frühwerk „Junge Männer am Meer“, 1906, (Göpel 18, Weimar, Kunstsammlungen) beweist, und das sollte so bleiben. Später wird die Nordseeküste zu den bevorzugten Motiven gehören, seit Beckmann im Schicksalsjahr 1937, als der Feldzug der Nationalsozialisten gegen die Moderne begann, Deutschland für immer verließ. Immer wieder jedoch greift er auch seine Reisen an die italienische oder französische Mittelmeerküste in gemalten Erinnerungsbildern auf. Noch Beckmanns letztes vollendetes Triptychon handelt von den Argonauten, Seefahrern der Antike (Göpel 832, Washington, National Gallery). 1937 ging Max Beckmann von Berlin ins Exil nach Amsterdam. Seine Position als Lehrer an der Städelschule war gekündigt worden, einige seiner Freude, darunter der Kunsthändler J.B. Neumann, bereits ausgewandert, und die Ausstellung „Ent- artete Kunst“ hatte auch seine Werke an den Pranger gestellt. In Amsterdam, wo Hedda Schonderbeek, die Schwester von Beckmanns zweiter Frau Mathilde, gen. „Quappi“, bereits seit mehreren Jahren lebte, fand das Paar Zuflucht. Ein Teil der zurückgelassenen Werke konnte dem Künstler nachgesandt werden, und die neue Umgebung inspirierte ihn rasch zu bedeutenden Bildern, darunter etwa „Der Befreite“, 1937 (Abb. links), das Symbolbild eines Mannes, der seine Ketten zerbrochen hat, das verkappte Selbstbildnis „Der König“ (Göpel 470), begonnen 1933 und 1937 überarbeitet, oder das berühmte „Selbstbildnis mit Horn“, 1938 (Göpel 489). Auch setzte sich die Beschäftigung mit dem Typus des Triptychons fort: Auf das erste von 1937, „Abfahrt“ (Göpel 412), folgte 1939 „Akrobaten“ (Göpel 536). Als Zeugnis der wieder gefestigten Existenz muß 1941 das „Doppelbildnis“ (Göpel 564) angesehen werden, beendet am 8. Februar 1941; anhaltend arbeitete Beckmann seit Dezember 1940 an seinem dritten Triptychon „Perseus“ (Göpel 570), auch am 18. Februar (s.u.). Als „Perseus“ am 2. Mai 1941 vollendet war, steht im Tagebuch: „Perseus endgültig fertig, Gestaltung ist Erlösung!“ Am 26. Mai heißt es in einem Brief Beckmanns an Lilly von Schnitzler, seine langjährige Freundin und Sammlerin: „Ich bin weiter fest an der Arbeit und die Gestaltung ist immer und ewig der größte Reiz, den mir das Leben bieten kann. Nichts ist erledigt und das ewige weiter träumen wird nie aufhören“ (Max Beckmann: Briefe Band III, 1937–1950, München 1996, S. 74). Hatten Beckmann und seine Frau sich anfangs ihrer Zeit in Amsterdam noch regelmäßig in Paris aufgehalten, reduzierte sich nach der Kapitulation Hollands 1940 der Radius auf Ausflüge in die Umgebung des neuen Wohnortes, nach Wyk aan Zee etwa oder nach Zandvoort. Im Tagebuch hält der Künstler am 7. Februar 1941 fest: „Am Meer mit Quappi, wilder Sturm.“ Unmittelbar danach beginnt er „Braunes Meer mit Möwen“ zu malen, auch als Sinnbild für seine entwurzelte Lebenssituation: abziehender Sturm, ein Boot ist an den Strand geworfen worden. Zerfetzt hängt das Segel am Mast, dahinter ein langgestreckter Wellenbrecher, Menschen sind längst ge ohen. Das Meer, Beckmanns „alte Freundin“, lässtseine Kräfte spielen. Mehrmals notiert Beckmann die Arbeit an dem Gemälde im Tagebuch: am 18. Februar „‚Nordsee-Möwen’ angefangen und etwas am ‚Perseus’ – “, am 27. Februar 1941 „‚Braunes Meer’ fertig“. Vielleicht auch am 5. Mai 1941 „Schwarze Möwen fertig.“ Eine sparsame Farbigkeit zwischen Grau, Beige und Weiß schildert die Situation. Überall ist die tosende Gischt der Wogen noch zu spüren, der Himmel ist verhangen, das Meer hat sich weit zurückgezo- gen, aber zwischen den aufgeschütteten Steinen des Wellenbrechers im Mittelgrund steht noch das Wasser. Eine Möwenkolonie findet hier reichlich Futter. Deutlich weist der Künstler auf den Ort hin, an dem er selbst ‚gestrandet’ ist: Die Reling des Bootes prangt in den Farben der niederländischen Flagge. Das zerrissene Segel aber strahlt im leuchtenden Gelb des göttlichen Lichts wie eine Verheißung. Unser Bild ist der ein Jahr später entstandenen „Strandlandschaft mit Boot und Badenden“ verwandt (Göpel 623). Möwen wiederum sind in der Zeit in den Niederlanden mehrfach im Œuvre anzutreffen. „Die Möwen“, 1940 (Göpel 545), „Möwen im Sturm“, 1942, „Möwen sonnig“, 1942 (Göpel 601). 1938 hatte Beckmann in der berühmten Londoner Rede über seine Malerei, gehalten in der Ausstellung „Twentieth Century German Art“, New Burlington Galleries, davon berichtet, wie ihm trotzder schwierigen Lebensbedingungen nachts fantasievolle Bildererschienen. Die Traumgestalten ermunterten ihn zur „Malerei als einzig mögliche Realisation der Einbildungskraft“. Den Schluss dieses Textes bildet eine Vision, wie sie bei Beckmann nicht ungewöhnlich ist. Er erwacht und sieht sich „in Holland, inmitten einer grenzenlosen Verwirrung der Welt. – – – – – Aber mein Glaube an eine endliche Befreiung und Erlösung von allen Dingen, die mich quälten und erfreuten, war neu gestärkt“ (zit. nach: Mathilde Q. Beckmann: Mein Leben mit Max Beckmann, Piper, München Zürich, 1983, S. 197–198). In den Jahren seines niederländischen Exils bis Ende August 1947 sollte Beckmann, den widrigen Lebensbedingungen, der Bedrohung durch den Krieg und der Beeinträchtigung seiner Gesundheit entgegenarbeitend, rund 280 Bilder schaffen, ein Drittel seines Lebenswerks.