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Grisebach
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18 Max Beckmann

Leipzig 1884 – 1950 New York

„Tiergarten im Winter“. 1937

Öl auf Leinwand. 75 × 65 cm (29 ½ × 25 ⅝ in.) Unten links signiert und datiert: Beckmann 37. Auf dem Keilrahmen in Rot betitelt: Park i. WINTER. Dort auch ein Etikett der Ausstellung Basel 2011 / 12 (s.u.) und der Buchholz Gallery, Curt Valentin, New York

Provenienz

Buchholz Gallery, Curt Valentin, New York (1940) / Stephan Lackner, Paris / Santa Barbara (1940) / R. N. Ketterer, Campione (1963) / Privatsammlung, Baden-Württemberg (1963 erworben, seitdem in Familienbesitz)

EUR 700.000 - 1.000.000

USD 747.000 - 1.070.000

Verkauft für:

1.800.000 EUR (inkl. Aufgeld)

Frühjahrsauktionen 2017

Ausgewählte Werke, 1. Juni 2017

Ausstellung

Max Beckmann, Marguerite Frey-Surbek, Martin Christ, Fernand Riard. Bern, Kunsthalle, 1938, Kat.-Nr. 42 / Max Beckmann. Winterthur, Kunstverein, im Museum, 1938, Kat.-Nr. 41 / Max Beckmann. Gemälde und Graphik. Zürich, Galerie Aktuaryus, 1938, Kat.-Nr. 14 / Max Beckmann Exhibition. Chicago, The Arts Club, 1942, (Faltblatt-) Nr. 26 / Max Beckmann Memorial Exhibition. Santa Barbara, Museum of Art, 1951 (ohne Katalog) / Max Beckmann. Santa Barbara, Museum of Art; San Francisco, Museum of Art, und Pasadena, Art Institute, 1955, Kat.-Nr. 17 / Max Beckmann. Meisterwerke 1907–1950. Stuttgart, Staatsgalerie, 1994 / 95, Kat.-Nr. 29, mit Abb. / Max Beckmann, Fernand Léger. Unerwartete Begegnungen. Köln, Museum Ludwig, 2005, Kat.-Nr. 55, S. 67 u. Abb. S. 132 / Max Beckmann. Die Landschaften. Basel, Kunstmuseum, 2011 / 12, Kat.-Nr. 46, mit Abb

Literatur und Abbildung

Donald Bear in: Santa Barbara News-Press, 28.1.1951 / Lagerkatalog: Moderne Kunst. Campione bei Lugano, R. N. Ketterer, 1963, unpag. (S. 11), mit Abbildung / Barbara Copeland Buenger: „Was habe ich denn mit Politik zu tun?“ Max Beckmanns Rückkehr nach Berlin 1933–1937. In: Ausstellungskatalog: Max Beckmann und Berlin. Berlin, Berlinische Galerie, 2015 / 16, S. 202-216, hier S. 213, Abb. 5 (nicht ausgestellt)

Elke Ostländer: Ein Sehnsuchtsbild künftigen Vermissens aus Beckmanns letztem Winter in Berlin „Max Beckmann ist Berliner und lebt in Frankfurt a.M.“, schrieb der Künstler 1924 in einer Autobiografie für den Verlag R. Piper & Co. Dieser Eintrag zeigt, wie sich Beckmann selbst sah. Seine künstlerische Laufbahn hatte er nach der Ausbildung an der Großherzoglichen Kunstschule Weimar 1904 in Berlin begonnen. Hier heiratete er Minna Tube, hier ließ sich das Paar 1907 in Hermsdorf, im Norden der Metropole, nieder. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde Beckmann freiwilliger Krankenpfleger, zunächst in Ostpreußen, danach in Belgien. Nach einem nervlichen Zusammenbruch 1915 beurlaubt, begab er sich zu Freunden nach Frankfurt; Minna hatte inzwischen erste Engagements als Sängerin angetreten. 1918 hielt Beckmann in der „Schöpferischen Konfession“ fest, wie ihn seine Erschütterung über das Dasein zum Malen zwingt: „Das einzige, was unsere eigentlich recht überflüssige und selbstsüchtige Existenz einigermaßen motivieren kann, (ist), daß wir den Menschen ein Bild ihres Schicksals geben und das kann man nur, wenn man sie liebt.“ Um die Kriegserlebnisse bewältigen zu können, ersann Beckmann für seine Malerei ein rätselhaftes Zeichensystem verschiedenster Symbole. In Frankfurt blühte angesichts neuer glücklicher Lebensumstände (1924 hatte Beckmann seine zweite Frau Mathilde von Kaulbach, gen. Quappi, kennengelernt und ein Jahr später geheiratet) seine Malerei farblich wie auch motivisch auf. 1925 wurde er Lehrbeauftragter an der dortigen Städelschule. In Berlin richtete Ludwig Justi 1932 einen Beckmann-Saal im Kronprinzenpalais, der Dependance der Nationalgalerie, ein, nachdem das Museum kurz zuvor das programmatische „Selbstbildnis im Smoking“ (Göpel 274, Busch Reisinger Museum Cambridge, Mass.) von 1927 erworben hatte. Es illustriert geradezu Beckmanns Text „Der Künstler im Staat“: „Der Künstler im Sinne der neuen Zeit ist der bewußte Former der transzendenten Idee [...], der eigentliche Schöpfer der Welt, die vor ihm nicht existierte.“ Hitlers Machtergreifung ein Jahr später führte jedoch zur Auflösung des Beckmann-Saales. Die Unabhängigkeit des Künstlers war zunehmend eingeschränkt. In Frankfurt wurde ihm zum 15. April 1933 der Vertrag gekündigt. Da hatte Beckmann mit Unterstützung seiner Sammlerin Lilly von Schnitzler bereits den nächsten Ortswechsel vollzogen und lebte wieder in Berlin, unweit der Adresse seiner Mäzenin. Seine Wohnung lag in der Hohenzollernstraße, der heutigen Hiroshimastraße, im Botschaftsviertel, direkt gegenüber dem Tiergarten. 1937 entstanden hier drei Tiergartenbilder „Tiergarten mit weißen Kugeln“ (Göpel 454, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München), „Tiergarten bei Nacht mit rotem Himmel“ (Göpel 455, Privatbesitz) und unser „Tiergarten im Winter“. Der Künstler malte den Blick aus seinem Fenster auf den verschneiten Weg und die entlaubten, im Herbst zurückgestutzten Bäume. Ihre grotesk verzweigten Äste ragen in die Höhe, während ihr Fuß von dichtem, gleichfalls schneebedeckten Buschwerk umgeben ist. Im Mittelgrund links ist eine geschwungene Brücke zu erkennen. Zwischen den dunklen Stämmen entfaltet Beckmann seine grandiose Malkunst. In seinen amerikanischen Vorlesungen, die er in den „Drei Briefen an eine Malerin“ festhielt, beschrieb er 1948 sein Vorgehen: „Lernen Sie die Formen der Natur auswendig, damit Sie sie verwerten können wie Noten in einem Musikstück. Dazu sind diese Formen da. Natur ist ein wundervolles Chaos, und unsere Aufgabe und Pflicht ist es, dieses Chaos zu ordnen und ... zu vollenden. [...] Die unendlichen Meere, die wilden Felsen, die melancholische Sprache der schwarzen Bäume im Schnee [...]. Das ist schon genug, um das Leid der Welt zu vergessen oder zu gestalten.“ Einen ähnlichen Blick aus offen stehenden Fensterflügeln auf kahle Bäume gibt auch „Winterlandschaft“ von 1930 wieder (Göpel 333, Van Abbe Museum, Eindhoven). Durch das feine Gefüge einzelner Pinselstriche von Türkis bis Dunkelblau erlangt die Komposition größte Dichte und Substanz, öffnet sich anderseits aber in eine schier unendliche Tiefe, an deren Horizont vielleicht die „Argonauten“ (Göpel 832, National Gallery of Art, Washington) warten. Die Himmelszone wird von Grautönen bestimmt, ein Wasserlauf von dunklerem Preußischblau. Das Kolorit enthält aber noch ein weiteres Detail von höchster Bedeutung. Das lichte Holz des angeschnittenen Fensterladens – seine Profilierung erinnert an die von Beckmann häufig in seine Bilder integrierte Leiter, die in der von ihm studierten theosophischen Esoterik als Sinnbild für die „Lebensleiter“ gilt – erfährt ein Echo in der Parkbank am Weg unten. Diese könnte, wie im Katalog der Berliner Beckmann-Ausstellung 2015 gezeigt wurde, keine einfache Parkbank, sondern eine sogenannte Judenbank sein. Es ist vorstellbar, dass Beckmann diese Schande im Bewusstsein für das Zeitgeschehen in seinem Bild dargestellt hat. Es ist aber auch denkbar, dass er dieses Wissen gewonnen und in seiner Innenwelt gespeichert hat. Es hätte dann intuitiv Gestalt angenommen. Schon 1917 hatte Beckmann über seine Arbeitsweise im Vorwort eines Grafik-Katalogs für seinen bevorzugten Kunsthändler I. B. Neumann geschrieben: „Sachlichkeit den inneren Gesichten“. Diese führen zu den seherischen „Auftritten“ von Hitler und Mussolini in den Gemälden „Der Traum“, 1921 (Göpel 208, The Saint Louis Art Museum) und „Galleria Umberto“, 1925 (Göpel 247, Privatbesitz, USA), sie erklären auch das versteckte Hakenkreuz als Anspielung auf den Faschismus in „Der Strand“, 1927 (Göpel 267, seit der Ausstellung „Entartete Kunst“ verschollen). „Tiergarten im Winter“ ist Sinnbild der durch Unfreiheit, Schikane und Verfolgung bedrohten Situation des Künstlers und drückt die Ahnung möglicher kommender Gefahren aus. Es ist sein letzter deutscher Winter. Im Juli des Entstehungsjahres verließ der Maler angesichts der in München bevorstehenden Ausstellung „Entartete Kunst“ Berlin. Er sollte nie wieder in seine Heimat zurückkehren.