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Grisebach
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32 Max Beckmann

Leipzig 1884 – 1950 New York

„Stilleben mit brennender Kerze“. 1921

Öl auf Leinwand. 50 × 35,6 cm (19 ⅝ × 14 in.) Oben rechts signiert, bezeichnet und datiert: Beckmann F[rankfurt]. 21. Auf dem Keilrahmen Etiketten der Ausstellungen Zürich 1955, Kassel 1964, Paris 1980/81, München 1984 und Düsseldorf 1997 (s. u.) sowie ein Nummernetikett der Kunsthütte Chemnitz

Provenienz

Minna Beckmann-Tube, Berlin und Graz / Günther Franke, München (um 1948) / Peter Beckmann, Murnau / Privatsammlung

EUR 700.000 - 1.000.000

USD 784.000 - 1.120.000

Verkauft für:

2.950.000 EUR (inkl. Aufgeld)

Herbstauktionen 2016

Ausgewählte Werke, 1. Dezember 2016

Ausstellung

Max Beckmann. Frankfurt a. M., Kunstverein in Gemeinschaft mit dem Graphischen Kabinett I.B. Neumann Berlin, 1921, Nr. 17 (Faltblatt) / Max Beckmann. Berlin, Graphisches Kabinett I. B. Neumann, 1921, Kat.-Nr. 15 / Münchner Neue Secession. VII. Ausstellung. München, Glaspalast Westflügel, 1921, Kat.-Nr. 16 (Stilleben mit Kerze) / Max Beckmann. Neue Arbeiten. Frankfurt a. M., Zinglers Kabinett, 1922, Kat.-Nr. 3 / Max Beckmann. Frankfurt a. M., Kunstverein in Gemeinschaft mit Zinglers Kabinett, 1924, <br /> Nr. 6 (Faltblatt) / Neue Sachlichkeit. Dresden, Sächsischer Kunstverein, 1925 / Max Beckmann. Gemälde der Jahre 1920-1924, Graphik 1910-1924. Düsseldorf, Galerie Alfred Flechtheim, 1925 / Max Beckmann. <br /> Das gesammelte Werk. Gemälde, Graphik, Handzeich-nungen aus den Jahren 1905 bis 1927. Mannheim, Städtische Kunsthalle, 1928, Kat.-Nr. 60 / Max Beckmann. Berlin, Galerie Alfred Flechtheim, 1928, Kat.-Nr. 10 / Zweite Ausstellung deutscher nachimpressionistischer Kunst aus Berliner Privatbesitz. Berlin, National-Galerie, 1928, Kat.-Nr. 13 mit Abb. / Max Beckmann. Basel, Kunsthalle, 1930, Kat.-Nr. 27 / <br /> Max Beckmann. Zürich, Kunsthaus, 1930, Kat.-Nr. 23 / <br /> Max Beckmann. Hannover, Kestner-Gesellschaft, 1949, Kat.-Nr. 5 / Max Beckmann. Bilder der Sammlung Günther Franke. Stuttgart, Württembergische Staats-galerie, 1950/51, ohne Kat. / Gedenkraum für Max Beckmann. München, Galerie Günther Franke, 1951, Nr. 4 / Max Beckmann. Gemälde und Graphik aus der Sammlung Günther Franke. Essen, Museum Folkwang, 1951, Kat.-Nr. 4 / Max Beckmann zum Gedächtnis 1884-1950. München, Haus der Kunst, und Berlin, Schloß Charlottenburg, 1951, Kat.-Nr. 31 / Max Beckmann. Amsterdam, Stedelijk Museum, 1951/52, Kat.-Nr. 6 / Gemälde und und Graphik aus der Sammlung Günther Franke. Freiburg i.Brsg., Kunstverein, 1952, Kat.-Nr. 3 / Max Beckmann 1884-1950. Gedächtnisausstellung. Braunschweig, Kunstverein, Städtisches Museum und Haus Salve Hospes, und Bremen, Kunsthalle, 1953, Kat.-Nr. 31, mit Abb. / Deutsche Stilleben seit 1900. Berlin, Haus am Waldsee. 1955, -Kat.-Nr. 7, Abb. auf dem Umschlag / Max Beckmann 1884-1950. Zürich, Kunsthaus, 1955, Kat.-Nr. 10 / Max Beckmann. Den Haag, Gemeente Museum, 1956, Kat.-Nr. 7 / Max Beckmann 1884-1950. Wuppertal, Städtisches Museum, 1956, Kat.-Nr. 14 / Max Beckmann. Gemälde, Zeichnungen, Graphik. Sammlung Günther Franke. Köln, Wallraf-Richartz-Museum und Kölnischer Kunstverein, 1959, Kat.-Nr. 4, mit Abb. / Sammlung Günther Franke. München, Städtische Galerie, 1960, Kat.-Nr. 11 / Max Beckmann. Sammlung Günther Franke. Lübeck, Museen für Kunst und -Kulturgeschichte der Hansestadt, Behnhaus, 1961 (Kat. wie Köln 1959, s. o.) / documenta III. Kassel, -Kabinette in der Alten Galerie, 1964, Kat. Malerei/Skulptur, S. 6, Nr. 15 / Sammlung Günther Franke. Bamberg, Neue Residenz, 1966, Kat.-Nr. 1 / Les Realismes/Realismus. Zwischen Revolution und Reaktion 1919-1939. Paris, Centre Georges Pompidou, und -Berlin, Staatliche Kunsthalle, 1980/81, Kat.-Nr. 246, Abb. S. 169 / Max Beckmann. Frankfurt 1915-1933. <br /> Eine Ausstellung zum 100. Geburtstag. Frankfurt a. M., Städtische Galerie im Städelschen Kunstinstitut. 1983/84, Kat.-Nr. 15, Abb. S. 86 / Max Beckmann – Retrospektive. München, Haus der Kunst; Berlin, Nationalgalerie; St. Louis, The Saint Louis Art Museum; Los Angeles, Los Angeles County Museum of Art, 1984/85, Kat.-Nr. 27, Farbabb. S. 214 / Max Beckmann. Die Nacht. Düsseldorf, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 1997, Kat.-Nr. 85, Farbabb. S. 138 / Max Beckmann. Kleine Stillleben. Kochel a. See, Franz Marc Museum, 2013, ohne Nr., ganzs. Farbabb. S. 41 / Max Beckmann. Die Stillleben. Hamburg, Kunsthalle, 2014, ohne Nr., Farbabb. S. 27, ganzs. Farbabb. S. 90

Literatur und Abbildung

H. W. Keim: Ausstellung Düsseldorf. In: Der Cicerone 17, 1925. I. Teil, S. 382 / Karl Gustav Gerold: Deutsche Malerei unserer Zeit. Wien, München und Basel, Desch Verlag, 1956, Farbabb. Nr. 16 / Lothar-Günther Buchheim: Max Beckmann. Feldafing, Buchheim, 1959, Abb. Nr. 21 / Erich Steingräber: Max Beckmann nella racolta di Günther Franke alla Galleria Statale di Monaco. In: Arte Figurativa 8, 1960, Nr. 6, Abb. S. 37/ Wieland Schmied: Neue Sachlichkeit und Magischer Realismus in Deutschland 1918-1933. Hannover, Fackelträger Verlag, 1969, Abb. Nr. 151, S. 34 / Friedrich Wilhelm Fischer: Max Beckmann. Symbol und Weltbild. München, Fink, 1972, S. 73 / David -Wagner: Nach was duftet dieser Max Beckmann? In: Grisebach. Das Journal. Heft 6, Berlin 2016, S. 58/59, mit Farbabbildung

Mit diesem Stillleben verortet sich Max Beckmann in der Kunstgeschichte – und in seinem Leben „Das Stillleben ist der Prüfstein des Malers.“ Im Sinne dieser Feststellung Édouard Manets sind die Stillleben Max Beckmanns zu verstehen. Sein „Stilleben mit brennender Kerze“ schuf er im Frühjahr 1921 in Frankfurt. Das Bild leitet einen Stimmungswandel im Werk des Malers ein. Die Farben beginnen wieder zu leuchten. Sechs Jahre zuvor hatte er als Sanitäter ein Kriegstrauma erlitten und war nach Frankfurt gezogen, wo ihm ein befreundetes Paar, Fridel und Ugi Battenberg, Unterkunft bot. Dort beschäftige er sich zunächst vorwiegend mit Grafik. Doch nun, 1921, entstehen neben dem „Stilleben mit brennender Kerze“ noch fünf wei- tere Gemälde. Erst jetzt scheint sich die Nachkriegsbitterkeit aufzulösen. Beckmanns malerische Produktivität kommt wieder in Gang. Im „Stilleben mit brennender Kerze“ hat der Maler aus einem Tisch in einer Zimmerecke eine Art Schrein geformt. Eine Hyazinthe, ein Maiglöckchen, ein roter Leuchter mit brennendem Kerzenstumpf, dazwischen ein umgefallener Zinnständer, zwei Stangen Lauch, eine Handvoll Walnüsse, und eine geöffnete Zigarrenkiste sind auf einer verrutschten weißen Decke versammelt. Darüber hängen leicht schief eine Petroleumlampe und ein goldgerahmter Spiegel. Eine Wandbespannung in Türkis mit angedeuteten gelben Blüten gibt farblich den Ton vor und umhüllt das wackelige Ensemble mit gepflegter Wohnlichkeit. Gegenstände wie die Kerzenleuchter entsprechen zwar dem „klassischen“ Stillleben, doch scheint bei Beckmann gar nichts stillzustehen. Motivisch knüpft er an die Tradition des Genres an, formt es aber eigenwillig um. In „Stilleben mit brennender Kerze“ zeigt der Maler die Requisiten seiner Bilderwelt: „Die Komponenten der künftigen Stillleben sind hier bereits präsent“, stellt Uwe M. Schneede fest (Uwe M. Schneede: Die Stillleben, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, 2014/2015, S. 27). Die Hauptfigur in diesem Ensemble ist die Hyazinthe. Gerade bei Blumen, also gewissermaßen im Wettstreit mit der Natur, zeigt Max Beckmann sein ganzes Können. So ist die Blüte mit ihren kleinen Kelchen in Hell- und Dunkelrosa meisterhaft gemalt. An manchen Stellen hat Beckmann die Blüten durch Farbtupfer nur angedeutet, an anderen sie mit ihren geöffneten Kelchen exakter wiedergegeben. Die Zwiebelpflanze ist schon etwas mitgenommen, zwei Blätter hängen herab, und einige gelbe Blattspitzen deuten auf ihr baldiges Verblühen hin. Ihr Topf steckt in einer Papiermanschette, wie es bei Geschenken üblich ist. Beckmann hatte eine Vorliebe für diese Pflanze, mit ihrem intensiven Duft. Er hat sie in einigen Stillleben sowie im „Selbstportrait mit Saxophon“ von 1930 gemalt. Auch die Zigarrenkiste ist bei ihm schon einmal in einem Gemälde aufgetaucht. In dem großen Bild „Fastnacht“ von 1920, dort allerdings noch ganz klein im Hintergrund – Hans Belting hat darauf hingewiesen (vgl. Hans Belting: Max Beckmann. München, Deutscher Kunstverlag, 1984, S. 33). Im „Stilleben mit brennender Kerze“ hat Beckmann ihr nun einen der prominenten Plätze gege- ben und sie mit dem medaillenverzierten Bild auf dem Innendeckel detailliert dargestellt. Gegen die Angabe der Verfasser des Werkverzeichnisses, dass es sich bei dem ovalen Porträt nicht um ein Selbstporträt handelt, spricht – meiner Meinung nach – einiges (Erhard und Barbara Göpel: Max Beckmann. Katalog der Gemälde. Kornfeld, Bern 1976, Bd. I, S. 152). Denn Beckmann weicht hier deutlich von dem für Zigarrenmarken typischen Männerbildnis in Uniform ab. Auch spricht die Betonung der Augenpartie und eine gewisse Ähnlichkeit für ein Porträt des Malers. Zudem nimmt Beckmann die Kombination eines Stilllebens mit einer als Bild im Bild eingefügten Selbstdarstellung öfters auf, etwa im „Selbstbildnis im großen Spiegel mit Kerze“ von 1933, wo das Profil des Malers im Spiegel zu entdecken ist. Zigarren waren ihm so wichtig, dass er sie in einer autobiografischen Notiz von 1923 eigens erwähnt. „Von Farben liebe ich eigentlich Zinnober und Violett sehr und Tabaksbraun. Wahrscheinlich, weil ich die Zigarre so außerordentlich schätze. Gibt es etwas Schöneres wie eine gute Cigarre?“ (Max Beckmann, Selbstporträt, März 1923, zitiert nach: Rudolf Pillep: Max Beckmann. Die Realität der Träume in den Bildern, München, Piper Verlag, 1990, S. 31) Er hat sich selbst oft mit Zigarre dargestellt. Im Gegensatz zur „schnellen“ Zigarette steht das behäbige Rauchen einer Zigarre in den ersten Nachkriegsjahren für bürgerliche Lebensart und verkörpert Wohlstand. Dass es sich um feinste kubanische Ware handelt, zeigt die Aufschrift auf der Schachtel, die man wohl zum berühmten Mar- kennamen Partagas ergänzen muss (und nicht zu „Flor Finas“, wie im Werkverzeichnis steht). Mit der Miniatur auf dem Deckel bekräftigt Beckmann wie mit einem Siegel seine Signatur. Diese hat er lässig über den Goldrahmen des Spiegels geschrieben, dazu noch den Entstehungsort mit F. für Frankfurt sowie die Jahreszahl 21 angefügt - und machte das Bild seiner von ihm getrennt lebenden ersten Frau Minna Tube zum Geschenk. Mit diesem Gemälde beurkundete Max Beckmann gewissermaßen seinen Stand in der Malerei. Aus dem über Jahrhunderte hinweg gebildeten Motivrepertoire des Stilllebens stammen Kerze, Leuchter, Spiegel, Blumen, Nüsse, Lauch und Tisch mit weißer Decke. Tradierte Motive des Genres sind auch bei Paul Cézanne, der dem Stillleben höchste Aufmerksamkeit widmete, und selbst bei den kubistischen Natures mortes Picassos zu sehen. Gerade durch diese Spannung zwischen Tradition und Moderne konnte das Stillleben zu einem Schlüsselsujet in der Malerei avancieren. So nimmt unser Bild nicht nur in Max Beckmanns Werk einen wichtigen Platz ein, es lässt sich auch in die Reihe bedeutender europäischer Stillleben einordnen.