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Grisebach
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19 Emil Nolde

Nolde 1867 – 1956 Seebüll

„Königskerzen“. 1915

Öl auf Leinwand. 74 × 89 cm (29 ⅛ × 35 in.) Unten rechts signiert: Emil Nolde. Auf dem Keilrahmen oben mit Pinsel in Schwarz betitelt: „Blumengarten“ [durchgestrichen]

Provenienz

Harry Fuld, Frankfurt a.M. (1917) / Lucy Mayer-Fuld, Frankfurt a. M. / Siegfried Adler, Montagnola (1975) / Privatsammlung, Deutschland (seit 1979)

EUR 800.000 - 1.200.000

USD 896.000 - 1.340.000

Verkauft für:

985.000 EUR (inkl. Aufgeld)

Herbstauktionen 2016

Ausgewählte Werke, 1. Dezember 2016

Ausstellung

Erste Ausstellung der Vereinigung für Neue Kunst. Frankfurt a. M., 1917, Kat.-Nr. 87 (Gelbe Königskerzen) / Emil Nolde. Frankfurt a. M., Ludwig Schames, 1917, Nr. 29 (Faltblatt)

Literatur und Abbildung

Doris Runge: Königskerzen. In: Grisebach. Das Journal. Heft 6, Berlin 2016, S. 41, m. Farbabbildung

Emil Noldes Alphabet der Farben– wie ein blühender Blumengarten zum Experimentierfeld wird Mitte September 1914 kehren Emil und Ada Nolde von ihrer Reise in die Südsee in ihr kleines Fischerhaus auf der Ostseeinsel Alsen zurück. In seinen Lebenserinnerungen resümiert der Maler: „Sechs Monate reisten wir, sechs Monate waren wir in Neuguinea. Dieses eine Jahr war uns unendlich reich gewesen, so reich, als ob es zehn Lebensjahre enthalte“ (Emil Nolde: Welt und Heimat. Köln, Dumont-Buchverlag, 2. Auflage 1965, S. 134 u. 147). Diese vielfältigen Eindrücke und der mittlerweile tobende Erste Weltkrieg mussten nach der Heimkehr erst bewältigt werden. Doch schon im darauffolgenden Jahr entstehen insgesamt 88 Ölbilder, nach Skizzen von der Südseereise, aber auch solche mit biblischen Themen, weiterhin Stillleben, Porträts und Blumenbilder. Das Malen lenkt Nolde von den Grausamkeiten des Krieges ab und hilft offenbar, die zahlreichen Nachrichten von gefallenen Nachbarn, Bekannten und auch Malerfreunden zu ertragen: „Uns selbst begleitete das ganze Südseeerlebnis unvergessen durch die Kriegsjahre und die kommende Zeit der schweren Kriegsfolgen wie eine traumhaft beglückende Ferne“ (ebenda, S. 146). Unser Gemälde „Königskerzen“ lässt nicht vermuten, in welch schwieriger Zeit es entstand. Die Blütenpracht der Sommerstauden verwöhnt das Auge, erfreut den Betrachter und beglückt den Geist. Das Bild zeigt exemplarisch den für Noldes spätere „Blumengärten“ typischen Bildaufbau: Die Blüten und Stängel hat der Künstler in den Vordergrund gerückt, den Mittel- und Hintergrund als unstrukturierte Farbflächen in Braun, Grün und Grau dagegen nur dezent angedeutet. Durch den konzentrierten, eng begrenzten Bildausschnitt lassen sich die Pflanzen nicht in einen übergreifenden, räumlichen Zusammenhang des Gartens einordnen. Nicht die Örtlichkeit ist dem Maler wichtig, sondern allein die intensiv leuchtende Blütenpracht seiner Blumen. Dies ist noch ganz anders in Noldes zeitgleich entstandenem Gemälde „Feuerlilien und Rosen“. Bei gleicher Intensität der Farben werden hier räumliche Tiefenwirkung und Gegenstandsbezug explizit gesucht und betont. Die sternförmigen Lilien im Vordergrund bestimmen die untere Bildhälfte, zwei Rosenbüsche bilden den Mittelgrund und setzen im oberen Bildteil neue farbliche Akzente. Typisch für Noldes frühe Blumengärten ist die vergleichsweise detaillierte Wiedergabe der Fassade seines Fischerhauses auf Alsen, welche das Gemälde räumlich abschließt. Die Doppelfenster weisen der Szenerie einen konkreten Ort zu und verankern so das Bild in der Realität. Von dieser früheren Anschauung hat sich Nolde in unserem Bild weitestgehend gelöst. Allenfalls das Grau am oberen Bildrand mag als verhangener Wolkenhimmel gedeutet werden. Die titelgebenden Königskerzen finden sich auf der gesamten rechten Bildhälfte in ihrer violetten und hellgelben Variante. Bei den drei hochstieligen Pflanzen rechts handelt es sich vermutlich um Gladiolen. Die Bildmitte wird von rotem Mohn und einer unbestimmten Pflanze mit dunkelblauen Blüten zusätzlich betont. Für Nolde waren die Blumen seiner Bilder nie Gegenstand botanischer Studien. So bekannte er in einem Brief einem wissbegierigen Museumsdirektor gegenüber freimütig: „[...] wie die kleinen orangefarbenen Blüten links heißen, weiß ich selber nicht. Die Namen waren mir immer weniger bedeutend als die Blumen selbst“ (Brief Emil Noldes vom 3. Mai 1950, Archiv der Nolde Stiftung Seebüll). Die leuchtenden Farben der blühenden Blumen empfand Nolde stets als naturgegebenen Urquell und Grundstoff seiner Kunst. Sie waren das Alphabet seiner Sprache. Im Blumenbild konnte er seine Farbenfantasie frei ausleben, seine Vorstellung von der Musikalität und absoluten Wirkung der Farbe bis nahe an die Abstraktion treiben, ohne hierbei die Bindung an die Natur zu verlieren, die immer Voraussetzung seines Schaffens blieb. Es ist bekannt, dass sich Nolde von den Blumen in seinem Garten zwar zu Bildern inspirieren ließ, die Arbeit daran jedoch zumeist im Atelier vornahm oder zumindest abschloss. Dadurch wollte sich der Maler bewusst vom Objekt lösen und den Farben eine Autonomie geben, die ihnen bei zu großer Detailtreue versagt geblieben wäre. So konnte Nolde das warme Gelb der Blüten in unserem Bild wahlweise mit kühlem Grün, erdigem Braun oder Rotviolett in Kontrast setzen, Stängel und Blätter delikat nuancieren, dem Hintergrund ein grelles Froschgrün verleihen. Wie alle Blumenbilder Noldes stellte auch das Gemälde „Königskerzen“ ein Experimentierfeld dar, welches den Künstler zu Erkenntnissen führte, die künftigen Bildern zugutekamen. Und es eröffnete ihm Möglichkeiten, sich mehr und mehr von der reinen Gegenständlichkeit zu lösen: „Oft waren bei Gemälden die Farben für Bild und Komposition bestimmend, die Farben als Mittel des Malers, genau so wie die Worte dem Dichter und in der Musik die Töne dem Komponisten die Mittel sind.“ (Emil Nolde: Reisen – Ächtung – Befreiung. Köln, Dumont-Buchverlag, 4. Auflage 1988, S. 16) Andreas Fluck