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Grisebach
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835 Andy Warhol

Pittsburgh 1928 – 1987 New York

„Joseph Beuys“. 1980

Synthetische Polymere, Serigrafie und Diamantstaub auf Leinwand. 102 × 102 cm (40 ⅛ × 40 ⅛ in.) Rückseitig mit Filzstift in Schwarz signiert und datiert: Andy Warhol 1980. Rückseitig jeweils ein Etikett der Galerie Lucio Amelio, Neapel, und der Barbara Mathes Gallery, New York

Provenienz

Galleria Lucio Amelio, Neapel / Privatsammlung, London / Privatsammlung, Berlin

EUR 400.000 - 600.000

USD 448.000 - 672.000

Verkauft für:

1.153.000 EUR (inkl. Aufgeld)

Herbstauktionen 2016

Zeitgenössische Kunst, 2. Dezember 2016

Ausstellung

Joseph Beuys by Andy Warhol. Neapel, Galleria Lucio Amelio, 1980

Literatur und Abbildung

Jonathan Mees: Beuys, kunstbestens. In: Grisebach. Das Journal. Heft 6, Berlin 2016, S. 12/13, m. Farbabbildung

Aus heutiger Sicht hat es erstaunlich lang gedauert, bis sich Andy Warhol und Joseph Beuys zum ersten Mal begegneten. Beide waren damals bereits berühmte Künstler. Bei YouTube gibt es ein Video von dem Abend des 19. Mai 1979 in der Düsseldorfer Galerie von Hans Mayer und Denise René. In dem kleinen Film wird man Zeuge einer etwas steifen Begrüßung. Beuys will zunächst wissen, ob Warhol das erste Mal in Deutschland sei. Anschließend stellt er fest, dass sie sich ja schon öfter hätten treffen wollen, es aber nie dazu gekommen sei: „In Darmstadt“, sagt Beuys, „hat es ja auch nicht geklappt.“ Warhol reagiert höflich und zurückhaltend. Dann fragt er Beuys, ob er ihn fotografieren dürfe. Wenige Monate später arbeitet er an einer Porträtserie von Beuys. Warhol hatte zu dem Zeitpunkt schon Hunderte von Bildnissen von Filmstars und Celebritys des internationalen Jetsets angefertigt. Doch nur wenige zeigen andere bildende Künstler. Für Warhols Biografen Victor Bockris zählt die Beuys-Serie zu seinen stärksten Porträts. Sie umfasst mehrere Siebdrucke in Acryl auf Leinwand in zwei unterschiedlichen Größen sowie eine Künstlermappe mit jeweils drei Motiven in einer limitierten Auflage auf Museumskarton. Unsere Arbeit gehört zu den kleineren Siebdrucken auf Leinwand, für die Warhol auch Diamantenstaub verwendete. Als Grundlage diente Warhol nicht jenes Foto, das er mit seiner Kleinbildkamera im Mai 1979 in Düsseldorf gemacht hatte, sondern ein Polaroid, wie eigentlich fast immer bei Warhol. Das augenfälligste Merkmal, durch das sich unser Porträt von den zahllosen übrigen unterscheidet, ist die Farbe - schwarz wählte Warhol sonst sehr selten für seine Bilder. Auch wenn sich die beiden bei ihrer ersten Zusammenkunft auf Anhieb nicht viel zu sagen hatten, so empfanden Beuys und Warhol doch ganz offenkundig Respekt voreinander. Dabei hätten sie in ihrer Auffassung von Kunst und als Personen nicht unterschiedlicher sein können. Sie waren zwar annähernd gleich alt und pflegten mit Hingabe ihre öffentlichen Markenzeichen - Warhol seine weißblonde Perücke, Beuys die Anglerweste und den Hut. Doch abgesehen davon verband sie auf den ersten Blick wenig. Warhol war ein Meister der Oberfläche, Beuys der Apologet der Innerlichkeit. Warhol drehte experimentelle Filme wie „Sleep“, „Empire“ und „The Chelsea Girls“ und ließ die Band Velvet Underground in seiner Factory proben. Beuys dagegen sang selbst - mit brüchiger Stimme „Sonne statt Reagan“ auf Wahlveranstaltungen der Grünen. Er hatte sich von seinen Anfängen als genialer Zeichner über seine Fluxus-Performances zu einem der großen Mystiker der Gegenwartskunst entwickelt. Beuys war nicht wie Warhol distanziert, sondern engagiert und in seinen Aktionen häufig ausdrücklich politisch. Aber es gab auch Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte zwischen diesen zwei so verschiedenen Künstlern. 1978 hatte Andy Warhol für die Grünen ein Plakat gestaltet. Zu dem Zeitpunkt müssen ihn Beuys’ Arbeiten schon länger fasziniert haben. Dessen Fähigkeit, Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs künstlerisch aufzuladen, war von seinem eigenen Kunstansatz nicht so weit entfernt, wie es den Anschein haben mag. Auch Beuys’ Beschäftigung mit dem Unterbewussten und Verdrängten - sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene – dürfte auf Warhol stark anziehend gewirkt haben. Die Zustandsbeschreibung der Gesellschaft war etwas, das sich konstant auch durch sein eigenes Schaffen zog. So ist Warhols schwarzes Porträt von Beuys zu allererst eine grandiose Hommage an diesen „unergründlichen, geheimnisvollen deutschen Künstler“, über den er einmal sagte: „Er sollte in die USA kommen und dort politisch aktiv sein. Das wäre großartig … er müsste Präsident werden.“ Einer magischen Vision gleich zeichnet sich dessen Antlitz vor dem dunklen Hintergrund ab wie ein Schemen, in einer Phasenverschiebung kaum merklich verdoppelt und leicht unscharf. Warhol-Biograf Bockris interpretierte die Verwendung des Diamantenstaubs, durch den Beuys’ Gesichtszüge und vor allem auch sein Hut und seine Weste deutlich pointiert erscheinen, als Warhols Antwort auf die „armen Materialien“, die dieser „in seinen apokalyptischen Werken“ gebrauchte. Ohne Zweifel ist dies eines der vielschichtigsten Porträts, die Warhol je angefertigt hat. Das gilt auch für den Negativ-Effekt, mit dem der eine Künstler den anderen darstellt. Denn diese Umkehrung bietet sich an, wörtlich verstanden zu werden: Warhol sah in Beuys offenbar sein Alter Ego. Ulrich Clewing