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Grisebach
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11 Emil Nolde

Nolde 1867 – 1956 Seebüll

„Weiße Wolken“. 1926

Öl auf Leinwand. 73,2 × 88 cm (28 ⅞ × 34 ⅝ in.) Unten rechts signiert: Emil Nolde. Auf dem Keilrahmen mit Pinsel in Schwarz signiert und betitelt: Emil Nolde Weiße Wolken

Provenienz

Sammlung Adalbert und Thilda Colsman, Langenberg (1927 in der Galerie Neue Kunst Fides, Dresden, erworben, seitdem in Familienbesitz)

EUR 1.200.000 - 1.600.000

USD 1.370.000 - 1.820.000

Verkauft für:

1.512.500 EUR (inkl. Aufgeld)

Frühjahrsauktionen 2016

Ausgewählte Werke, 2. Juni 2016

Ausstellung

Emil Nolde. Jubiläumsausstellung zum 60. Geburtstag. Dresden, Städtisches Kunstausstellungsgebäude am Großen Garten [Gemälde] und Galerie Neue Kunst Fides [Papierarbeiten]; Hamburg, Kunstverein; Kiel, Kunsthalle; Essen, Museum Folkwang; Wiesbaden, Nassauischer Kunstverein, 1927, zwei Katalogeditionen: Kat.-Nr. 194 [Kat. A mit 201 Gemälden], Kat.-Nr. 203 [Kat. B mit 210 Gemälden] / Freunde des Museums sammeln II. Kunst aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Essen, Museum Folkwang, 1972, Kat.-Nr. 41 mit Abbildung

Emil Noldes Kunst ist ohne seine nordfriesische Herkunft nicht denkbar. Der Maler bekannte 1922 in einem Brief an Ernst Gosebruch, den Direktor des soeben gegründeten Museums Folkwang in Essen: „Selbst bin ich der Meinung, daß meine Kunst trotz Reisen überall hin, tief im Heimatboden wurzelt, in dem schmalen Lande, hier zwischen den beiden Meeren“ (Max Sauerlandt: Emil Nolde. Briefe 1894-1926. Hamburg 1967, S. 160). Der Sohn eines Bauern aus Merlingfeld bei Seebüll war von Kindheit an aufs Engste mit der einzigartigen Naturlandschaft dieser Region verbunden, nahm die Eindrücke von Pflanzen- und Tierwelt begierig in sich auf, um sie noch Jahrzehnte später in seinen Bildern künstlerisch zu verarbeiten. Über das beschauliche Leben auf der Ostseeinsel Alsen gemeinsam mit seiner Frau Ada berichtet der Maler in seiner Autobiografie: „Diese mit der Natur herzlichst verbundenen so ganz intimen Jahre mögen neben den Erlebnissen der herrlichen Knabenzeit mir unendlich wertvoll gewesen sein, wie eine Grundlage, auf welcher die breite volle Kraft des Schaffens sich später entwickeln konnte.“ (Zit. nach: Emil Nolde: Jahre der Kämpfe. Köln, 5. Aufl. 1985, S. 36.) Landschaften finden sich bereits unter Noldes ersten tastenden malerischen Versuchen. Noch um die Jahrhundertwende sind seine Motive kleine Fischerdörfer der Nachbarschaft oder atmosphärisch dichte Lichterscheinungen über der Küste, Bilder, die deutlich unter dem Einfluss der deutsch-dänischen Naturmalerei jener Zeit stehen. Erst nach Ausbildung eines eigenen Malstils um 1906/07 gelangt Nolde auch in der Darstellung der Landschaft zu einer eigenen, unverwechselbaren Bildsprache. Da er den kleinen Holzverschlag, der ihm als Atelier diente, am Ostseestrand von Alsen aufgebaut hatte, galt seine künstlerische Aufmerksamkeit in jenen Jahren immer noch vor allem dem wild bewegten Meer und den ständig wechselnden Wolkenformationen und Lichterscheinungen. Bereits 1916 konstatiert er: „Mit Wolken und Stimmungen der heimatlichen Gegend war ich wie verwachsen, besonderes Schönes verblieb dem Gedächtnis für immer.“ (Zit. nach: Emil Nolde: Welt und Heimat. Köln, 2. Aufl. 1965, S. 138.) Für die Landschaftsmalerei bevorzugte Nolde in der Regel das Medium des Aquarells, da hier eine schnelle Malweise und die Möglichkeit zu fließenden Farbübergängen beste Ergebnisse versprachen. Noch in einem Brief von 1925 bekennt er freimütig: „Es fällt mir schwer, Landschaften zu malen, oft erst nachdem ich sie ein oder zweimal umgemalt habe, bin ich zufrieden. […] In Wasserfarben, im kleineren Format kann ich besser eine Vollwirkung erreichen.“ Dennoch entsteht gerade in den zwanziger Jahren eine Reihe wichtiger Landschaftsbilder in Öl, so auch das Gemälde „Weiße Wolken“. Wie der Titel schon andeutet, schenkt der Maler bei diesem Meisterwerk dem Himmel deutlich mehr Aufmerksamkeit als dem Streifen Grünland darunter. Im Gegensatz zu den zuvor und danach entstandenen Landschaftsbildern Noldes wird der Eingriff des Menschen in diese Naturszenerie auf ein Minimum reduziert: Ein flacher Bauernhof aus dunkelroten Ziegeln ist nur undeutlich am Horizont wahrnehmbar, wird von Dunst, Nebel und Regen nahezu verschluckt. Die endlos scheinende Weite der Marsch begrenzen weder Zäune, noch weiden hier Kühe oder Schafe. Lediglich zwei Wasserflächen reflektieren das Weiß und Dunkelgrau des Wetters und durchbrechen die Monochromie im unteren Bildviertel. Darüber findet ein fulminantes Drama statt: Der hohe Himmel ist der eigentliche Akteur auf der riesigen Bühne. Die Wolken türmen sich auf und wechseln ihre Farbigkeit von bedrohlichen dunklen Tönen zu leuchtenden hellen. Die Turbulenzen, welche die aufsteigende Warmluft verursacht, werden zu pilzförmigen Massen, das Grollen des heraufziehenden Gewitters ist beinahe hörbar. Diese Dynamik erzielt Nolde im Bild durch die Verwendung unterschiedlicher Graustufen vor dem hellblauen Himmel. Die im Detail abstrakten Farbstrukturen ergeben im Zusammenspiel ein gigantisches Wolkengebilde, dem das flache Land mit den wenigen geduckten Häusern nichts entgegenzusetzen zu haben scheint. Erste Wolkenstudien hatte der Maler bereits im Jahr 1900 mit Bleistift in sein Skizzenbuch notiert. Später waren es kleine Farbstiftzeichnungen, in denen er die Vielfalt der sich stets wandelnden meteorologische Phänomene auf ihre Ausdrucksmöglichkeiten untersuchte. Seinem künstlerischen Temperament entsprechend war Nolde in besonderem Maße fasziniert von extremen Naturschauspielen wie der sturmgepeitschten See und heftigen Unwettern. Über Letztere hat er sich wie folgt geäußert: „Aber auch, wenn die schweren Gewitterwolken kamen, war es herrlich schön. Auf dem flachen Lande sind sie der Schrecken der schwachen Gemüter und dem Starken jedesmal ein Erlebnis in Dramatik und Naturgröße“ (Emil Nolde: Jahre der Kämpfe. Köln 1985, S. 126). Mit Vehemenz wehrt sich Nolde gegen das Vorurteil, seine Heimat sei karg und langweilig, wenn er in seinen Lebenserinnerungen konstatiert: „Unsere Landschaft ist bescheiden, allem Berauschenden, Üppigen fern, das wissen wir, aber sie gibt dem intimen Beobachter für seine Liebe zu ihr unendlich viel an stiller, inniger Schönheit, an herber Größe und auch an stürmisch wildem Leben.“ (Zit. nach: Emil Nolde: Reisen. Ächtung. Befreiung. Köln, 4. Aufl. 1988, S. 9.) Das Gemälde „Weiße Wolken“ gelangte über die Galerie Neue Kunst Fides in Dresden im September 1927 in die Sammlung Colsman. Zuvor war es in einer Retrospektive im Essener Museum Folkwang aus Anlass des sechzigsten Geburtstags Emil Noldes ausgestellt, wo Colsmans es erstmals gesehen haben werden. Weitere Ölbilder sollten in die Sammlung Colsman folgen, so 1940 die Nolde-Gemälde „Herbstblumen C“ von 1931 (Urban 1118) und „Hohe See“ von 1939 (Urban 1200, s. Abb.). Insbesondere letzterer Erwerb belegt die enge Verbundenheit der Eheleute Nolde und Colsman miteinander, fand er doch zu einer Zeit statt, in der der Ankauf sogenannter „entarteter“ Malerei für Künstler wie Käufer nicht ungefährlich war. Wie offen in dieser schweren Zeit dennoch miteinander umgegangen wurde, belegt ein Briefwechsel zwischen Adalbert Colsman und Emil bzw. Ada Nolde: Nach dem Erhalt des Gemäldes „Hohe See“ schreibt Colsman an Nolde, das dunkle Meerbild müsse wohl an einen hellen Platz gehängt werden, um angemessen zur Geltung zu kommen. Er fragt an, ob es wohl gefirnisst sei, da es „unter bestimmter Lichteinstrahlung reflektiert“. Zudem meint er, eine Übermalung im Bereich der Horizontlinie bemerkt zu haben, „da hier die Farbe etwas eingeschlagen erscheint“ (Brief Colsman an Nolde vom 12. Juni 1940). Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Zwei Tage später schreibt Ada Nolde an Colsman: „Deine Fragen sind leicht beantwortet. Gefirnisst ist das Bild nicht. Wenn ein Bild nicht sehr schnell gemalt wird, kommen leicht einige Stellen, die ein wenig einschlagen, es ist nicht nachträglich daran gemalt. Emils Bilder sind immer anspruchsvoll mit Hängeplatz, wenn sie ihr Letztes geben sollen, aber uns scheint, dass sie dann die Mühe belohnen.“ (Brief Ada Nolde an Colsman vom 14. Juni 1940)