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Grisebach
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25 Otto Mueller

Liebau/Schlesien 1874 – 1930 Breslau

„Zwei Mädchen mit gegabeltem Baum“. Um 1916/17

Leimfarbe auf Rupfen. 90 × 110 cm (35 ⅜ × 43 ¼ in.) Unten rechts monogrammiert: O. M. Rückseitig signiert: Otto Mueller

Provenienz

Carl Hagemann, Frankfurt a.M. (erworben 1918 in der Freien Secession, Berlin, bis 1940) / Erben Carl Hagemann (1940, 1941 im Städel deponiert, danach mit anderen Werken aus dem Städel ausgelagert) / Maria Helsig, geb. Hagemann, Kiel (1948) / Erben Maria Helsig (1962, vom Juni 1981 bis Dezember 1983 als Leihgabe im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg) / Galerie Nierendorf, Berlin (erworben 1984 auf der u. g. Auktion bei Ketterer) / Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen (erworben 1990 bei Nierendorf)

EUR 1.000.000 - 1.500.000

USD 1.140.000 - 1.710.000

Verkauft für:

1.225.000 EUR (inkl. Aufgeld)

Frühjahrsauktionen 2016

Ausgewählte Werke, 2. Juni 2016

Ausstellung

Otto Mueller. Wiesbaden, Nassauischer Kunstverein, im Städtischen Museum, 1918 (?) / Freie Secession Berlin 1918. Berlin, Ausstellungshaus am Kurfürstendamm, 1918, Kat.-Nr. 113 oder 114 („Figuren in Landschaft“ bzw. „Landschaft“) / Expressionisten. Sammlung Hagemann. Frankfurt a. M., Städelsches Kunstinstitut, 1948 / Otto Mueller, 1874–1930. Gemälde, Aquarelle, Handzeichnungen, Lithographien. Dortmund, Museum am Ostwall, 1950, Kat.-Nr. 7 / Otto Mueller. Frankfurt a. M., 1950 / Ostdeutsche Bildkunst. Düsseldorf, Kunsthalle, 1950, unpag., mit ganzseitiger Abbildung / Otto Mueller. München, Galerie Günther Franke, 1953 (Faltblatt) / Orangerie ´84. Deutscher Kunsthandel im Schloß Charlottenburg. Berlin 1984, Kat.-Nr. 64/2, S. 209, mit ganzseitiger Farbabbildung (Galerie Nierendorf) / Herbst 1985. 360 Werke von 40 Künstlern des 20. Jahr- hunderts. Berlin, Galerie Nierendorf, 1985, Kat.-Nr. 1, Farbabbildung auf dem Umschlag / 22. Sonderkatalog: Otto Mueller. Zum sechzigsten Todestag. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Graphiken. Berlin, Galerie Nierendorf, 1990, Kat.-Nr. 10, mit ganzseitiger Farbabbildung / Otto Mueller. Eine Retrospektive. München, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, und Essen, Museum Folkwang, 2003, S. 218 und S. 90, ganzseitige Farbabbildung 61 / Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff, Nolde. Künstler der Brücke in der Sammlung Hagemann. Frankfurt a. M., Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie, und Essen, Museum Folkwang, 2004/05, S. 151, m. Farbabbildung, und S. 183, Kat.-Nr. 79

Literatur und Abbildung

Sonderdruck aus: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg 1982, S. 120, Abb. 18 / 83. Auktion, 20. Jahrhundert. München, Galerie Wolfgang Ketterer, 28.-30.5.1984, Kat.-Nr. 1010, Farbabbildung auf dem Umschlag / Marlene Decker: Gestaltungselemente im Bildwerk von Otto Mueller. Dortmund, Projekt-Verlag, 1993, Kat.-Nr. I.101, Abb. 18 („Zwei Mädchen am See“) / Mario-Andreas von Lüttichau: Otto Mueller. Ein Roman- tiker unter den Expressionisten. Köln, DuMont Buchverlag, 1993, S. 186, ganzseitige Farbabbildung 4 auf S. 100 / Hans Delfs, Mario-Andreas von Lüttichau und Roland Scotti: Kirchner, Schmidt-Rottluff, Nolde, Nay ... Briefe an den Sammler und Mäzen Carl Hagemann 1906–1940. [...] Ostfildern-Ruit, Hatje Cantz Verlag, 2004, S. 104, Brief 148, S. 106-107, Briefe 150 u. 151, und S. 961 / Ausst.-Kat.: Einfach·Eigen·Einzig. Otto Mueller, 1874–1930. Wegbereiter der „Künstlergruppe Brücke“ und deren „selbstverständliches Mitglied“. 3 Bände. Begleitbuch zu den Ausstellungen der Otto Mueller Gesellschaft e. V. (Weimar) in Zwickau, Kunstsammlungen, Heilbronn, Städtische Museen, Kunsthalle Vogelmann, und Duisburg, Lehmbruck Museum, 2012/13, hier Bd. II, S. 91-92 (nicht ausgestellt) / Hans-Dieter Mück: Curt Herrmann (1854–1929) und Otto Mueller (1874–1930). Zur Künstler-Freundschaft von zwei „Wegbereitern“. In: Otto Mueller zum 140. Geburts- tag. Jahrbuch der Otto Mueller-Gesellschaft, Bd. II/III, 2014, S. 22-161, hier S. 159

Die Darstellung des Aktes in Landschaften wie auf diesem Gemälde „Zwei Mädchen mit gegabeltem Baum“, 1916/17 entstanden und wohl erstmals in der Berliner Secession 1917 ausgestellt, ist charakteristisch und typisch für die Malerei von Otto Mueller: der weibliche Akt, der Akt im Raum, der Akt in der Landschaft sind sein künstlerisches Markenzeichen. Besonders das Thema „Akt in der Landschaft“ beginnt Otto Mueller auf vielfältige Art zu formulieren und zu variieren zwischen reiner Figurenkomposition, seiner Einbindung in die Hintergrundlandschaft und weitläufigen mit vereinzelten Figuren belebten Landschaftsausschnitten. Es sind dies keine spontan komponierten Szenen, wie sie Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff an den Moritzburger Seen, auf Fehmarn, in Dangast oder in Osterholz an der Flensburger Förde inszenierten und mit denen sie den berühmten expressiven „Brücke“-Stil kreierten, sondern ausgewogene Erzählungen von ebenschönen Körpern in einer ausschnitthaft erfundenen Natur. Muellers Gemälde wecken deshalb bisweilen den Eindruck, als seien von Skulpturen inspirierte Akte in einer Landschaft zur gemeinsamen Aufstellung gekommen, also mehr ein inszeniertes Nebeneinander von Figuren mit unterschiedlicher Aussage, ein Verhalten in oft erstarrter Bewegung bisweilen ohne Bezug und Sinn. Jedoch bleibt für Mueller trotz aller Vereinfachung in der Darstellung des Körpers und des musterhaften Vortrags von Landschaft noch immer die Proportion das Maß in seinen Kompositionen. In seinem Schaffen geht es immer und immer wieder von Neuem um das Sein und die Gestalt der Frau; in ihr fand er Eros und Schönheit in idealisierter Form. Als Modell für die Darstellung des Aktes haben ihm seine jeweiligen Partnerinnen oder Fotos von ihnen gedient; eine persönliche Beziehung war ihm wichtig. Auch bediente er sich bisweilen einer Gliederpuppe wie in Zeiten des Krieges, um Bewegung und Grazie seiner Modelle imaginär nachzustellen. So verstand er es, seine persönliche Vorstellung mit einfacher Formensprache und den weiblichen Körper in vollendeter Bewegung und Anmut zu zeichnen. Die Beschäftigung mit dem weiblichen Körper schlechthin, schien für den Künstler ausreichend, sein Malerleben zu erfüllen und sein Werk dennoch nicht eintönig erscheinen zu lassen. Von Variationen und mehrfacher Wiederholung im strengen Sinn kann deshalb noch nicht gesprochen werden, wenngleich Otto Mueller ihm besonders gelungen erscheinende Motive annähernd wiederholte wie in dieser Variante eine Landschaft mit Baum. Abgesehen von der intensiveren Farbgebung kann man hier die feinen kompositorischen Unterschiede, die landschaftliche Verschiebung, den Einsatz von landschaftlichen Versatzstücken studieren. Beide Kompositionen zeigen einen ähnlichen Landschaftsausschnitt, der mit einem charakteristischen Ort verbunden zu sein scheint. Einzelne Bäume oder wie hier die inszenierte Baumgabel, hohe Gräser, Schilf und Buschwerk umgeben Seen, Teiche und Bäche, wo schließlich, zwanglos und unbeobachtet sich fühlend, die Badenden, die Akte sich tummeln oder kurz davor sind, die von Otto Mueller vorgesehene Bühne zu betreten. Es sind dies arkadische Landschaften, in denen junge Mädchen, vereinzelt auch Knaben und Männer sich nackt unbeschwerter Lebenslust hingeben – zeitlos, gleichsam in ein irdisches Paradies versetzt, an unberührten, von Dünen umsäumten Meeresküsten an Ost- oder Nordsee, an Bächen und Teichen, umgeben von märkischem Sand unweit von Berlin oder weiter im Osten, in der schlesischen Landschaft um Breslau. Otto Muellers Themen sind kaum urban und in dem Sinn auch nicht gesellschaftskritisch. Otto Muellers Bilder zeigen kaum alltägliches Geschehen, beschreiben keine Stillleben, nur selten entstehen Raumsituationen, bildet sein Atelier Hintergrund oder Atmosphäre für seine Komposition, sind Häuser und Straßenzüge ihm hilfreich, etwa die Welt der Sinti und Roma zu schildern. Und während seine Zeitgenossen den Verlust der Unschuld dieser Welt schon während des Ersten Weltkrieges und zu Beginn der 1920er Jahre mit Ironie und beißendem Zynismus beklagen, erzählt Otto Mueller weiterhin von sich innig umarmenden Liebespaaren oder Badenden in wunderbaren, paradiesisch wirkenden Landschaften. So bleibt er seinen wenigen Themen seit etwa 1910, dem Jahr der Begegnung mit den „Brücke“-Künstlern, über 20 Jahre hin eng verbunden, obwohl er offensichtlich auf seine Zeitgenossen wie Wilhelm Lehmbruck oder Ernst Ludwig Kirchner reagierte, wodurch sich sein Stil, wenn auch nur geringfügig, änderte. Zwar wurde der Rang seiner Bilder anerkannt, sie seien von „eindringlicher Qualität“, und ihre „peinture“ von den Kritikern nicht angezweifelt; doch sind es die augenscheinlich unkritischen Themen, die oftmals faszinierende Schönheit, die den Künstler Otto Mueller mit dem Makel belegen, keine leidenschaftliche Ambition in der Malerei auszuleben wie seine Zeitgenossen. Otto Mueller reduzierte seine Themen, seine Technik sowie seine Handschrift mit besonderem Blick in eine parallele Welt. In dieser vermochte er den Ersten Weltkrieg zu ertragen fernab von tagesgebundener Beschäftigung während seiner Lehrtätigkeit in Breslau. Allein hier unterscheidet er sich von seinen Zeitgenossen. Das Anziehende seiner Malerei, wie es auch seine Künstlerfreunde empfunden haben müssen, liegt in seiner Fähigkeit, nach innen zu sehen. Muellers künstlerische Motivation liegt weniger in der Beschreibung oder der Kritik von gesellschaftlichen Verhältnissen als vielmehr in der Suche nach dem Selbst, nach dem Menschlichen. Hier nährt sich der Gedanke, dass es Muellers Ziel gewesen sein könnte, „Urbilder“ zu schaffen. Auf diesem Weg begleiten ihn das Studium künstlerischer Vorbilder, das Beobachten besonders weiblicher Körper, die starke Einflussnahme der Frauen in seinem Leben sowie seine ständige Selbstreflexion in Selbstporträts mit den Partnerinnen. Otto Mueller entwickelte und variierte dabei behutsam und sensibel seine Malerei und suchte mit wenigen Veränderungen, neue Impulse zu gewinnen, die er in Zeichnungen, Gouachen, Aquarellen und Lithographien (siehe Abb.) erprobte. Das reife Ergebnis realisiert er schließlich wie in diesem Gemälde „Zwei Mädchen mit gegabeltem Baum“ mit den ihm eigenen, klassischen Leimfarben. Dr. Mario-Andreas von Lüttichau