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Grisebach
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124 Caspar David Friedrich

Greifswald 1774 – 1840 Dresden

„Die Frau mit dem Spinnennetz zwischen kahlen Bäumen (Melancholie)“.

Holzschnitt auf Papier. 17,1 × 11,9 cm (17,9 × 12,8 cm) (6 ¾ × 4 ⅝ in. (7 × 5 in.))

Provenienz

Privatsammlung, Sachsen

Addendum/Erratum

Ein weiteres Exemplar befindet sich seit 1981 im British Museum. Nr. 1981, 0725.2

EUR 10.000 - 15.000

USD 12.700 - 19.000

Verkauft für:

901.000 EUR (inkl. Aufgeld)

Auktionen 229-236

Kunst des 19. Jahrhunderts, 26. November 2014

Laut Börsch-Supan/Jähnig soll es jeweils etwa zehn Exemplare von Caspar David Friedrichs Holzschnitten geben. Alfred Lichtwark publizierte 1905 diesen Holzschnitt zum ersten Mal. So verwundert es nicht, daß außer einem Abzug auch der Holzstock heute in der Hamburger Kunsthalle verwahrt wird. 1915 erwarb das Berliner Kupferstichkabinett ein Exemplar im Leipziger Kunsthandel, 1925 zog das Kupferstichkabinett in Dresden nach. Kurz darauf folgten auch die ausländischen Museen, 1927 das Metropolitan Museum of Art in New York und 1930 das Kupferstichkabinett in Basel. Die Staatliche Graphische Sammlung in München konnte 1955 einen Abzug ankaufen. Erst in jüngster Zeit gelangten weitere Exemplare via CG.Boerner in die USA, 1993 nach Philadelphia (wohl aus der Sammlung von Otto Schäfer, der sein Blatt frühestens 1927 erworben hatte) und 1995 nach Cleveland (aus der Sammlung Friedrich Quiring, Eberswalde, mit dem ab 1921 verwendeten Stempel Lugt 1041c). Die Erwerbungsdaten des Art Institute of Chicago, der Städtischen Galerie in Frankfurt a.M. und des Pommerschen Landesmuseums Greifswald ließen sich nicht ermitteln. Das umfangreiche Werk von Caspar David Friedrich enthält nur eine sehr kleine Anzahl von druckgraphischen Arbeiten, Abzüge der wenigen Holzschnitte sind heute ausgesprochen selten. Von der „Frau mit dem Spinnennetz zwischen kahlen Bäumen“ sind nur noch etwa zehn Abzüge nachweisbar (siehe die obenstehende Auflistung von deren Standorten). Unsere Arbeit gehört zu der Reihe von vier Holzschnitten, die „nach Zeichnungen des berühmten Landschaftsmalers Friedrich von dessen Bruder, einem Tischler in Greifswald geschnitten“ wurden, wie auf der alten Beischrift auf einem Exemplar aus dem Berliner Kupferstichkabinett zu lesen ist. Der 1779 geborene Christian Friedrich war der jüngste Bruder des Künstlers und soll ihm besonders nahe gestanden haben. Caspar David versorgte seinen Bruder nicht nur mit Vorlagen für Holzstiche, sondern kümmerte sich auch um Fragen der Holzbeschaffung und Bearbeitung. Die direkte Vorlage für den vorliegenden Holzschnitt ist nicht über-liefert. Jedoch finden sich in dem aufgelösten, sogenannten „Mannheimer Skizzenbuch“, das Börsch-Supan als „einzigartiges Dokument von Friedrichs Seelenleben“ bezeichnet hat, Zeichnungen, die als unmittelbare Anregungen für die Holzschnitte anzusehen sind. Die Skizzen waren auf einer Reise in seine Greifswalder Heimat entstanden, die Caspar David im Frühjahr 1801 von Dresden aus unternommen hatte. Sie zeigen Figurenstudien in verschiedenen Körperhaltungen, denen wenige symbolisch aufgeladene Gegenstände und Landschaftsmotive zugeordnet werden, die Hinweise auf die Gedankenwelt des Künstlers geben können. Vorlage für die sitzende Frau auf unserem Holzschnitt, der seit 1914/15 auch „Die Melancholie“ genannt wird - W. Kurt hatte in den amtlichen Berichten aus den königlichen Kunstkammern dieses Jahres in der schwermütig nachsinnenden Frau eine „Melancholiestimmung Dürers“ erkannt –, ist eine Zeichnung aus dem oben erwähnten aufgelösten Skizzenbuch, die sich heute im Dresdner Kupferstichkabinett befindet (Grummt 271). Das vom 5. Oktober 1801 datierte Blatt zeigt eine junge Frau, die auf einem Felsblock sitzend ihren Ellenbogen auf den abgeschlagenen Ast eines Baumes lehnt, um ihren Kopf in der Hand stützen zu können. Ihr Blick ist vom Betrachter abgewandt in die Ferne gerichtet, die Vegetation ist spärlich. Im Holzschnitt erscheint die Sitzende spiegelverkehrt, die Vegetation und Landschaftssymbolik sind deutlich verändert, so daß von einer weiteren Zeichnung als Vorlage für den Holzschnitt auszugehen ist, die jedoch nicht bekannt ist. Im Holzschnitt erscheint die Frau gleichsam aus der üppigen Pflanzenwelt herauszuwachsen, große blühende Gräser umringen sie. Diese dichtbewachsene, mit engen Schraffuren besetzte untere Bildhälfte kann als Symbol des Wachsens und damit des Lebens gesehen werden, das jedoch auch schmerzerfüllt sein kann. Darauf verweist die Distel, die in der christlichen Ikonographie als Symbol des irdischen Schmerzes gesehen wird. Gerahmt wird die sitzende Frau von zwei abgestorbenen Bäumen zwischen denen sich ein Spinnennetz spannt, in das ein Schmetterling zu fliegen droht, was für ihn den sicheren Tod bedeuten würde. Der Kopf der Frau wird von einer freien, gänzlich unbehandelten Fläche, dem Licht, dem Himmel hinterfangen. So könnte man sagen, sie sinnt – verdeutlicht durch den Typus melancholicus - in ihrer Jugend noch ganz im Hier und Jetzt, der üppigen Natur - verfangen, jedoch gleichzeitig über das unvermeidliche Ende des Lebens - symbolisiert durch die kahlen Bäume und das Spinnennetz – nach. Da der Schmetterling andererseits aber auch als Verkörperung der Seele eines Verstorbenen gelten kann, die sich bei aller Gefährdung durch das Spinnennetz gen Himmel erhebt, ist Hoffnung nicht gänzlich ausgeschlossen. Nach Friedrichs protestantischer Überzeugung führt der Weg zum ewigen Leben nur über den Tod. Caspar David Friedrich war seine gesamte Kindheit und Jugend über immer wieder mit dem Tod konfrontiert. Als er sieben Jahre alt war, starb seine Mutter, sechs Jahre später ertrank sein Bruder Christoffer bei dem Versuch, ihn selbst zu retten, als Sechszehnjähriger erlebte er die tragischen Umstände des Todes seiner Schwester Maria. Um 1801, zur Zeit der Entstehung der Zeichnungen, befand sich der Künstler, der gerade in Dresden ansässig geworden war, offenbar in einer Situation schwerer seelischer Erschütterung, wovon ein von Carus erwähnter Selbstmordversuch Friedrichs zeugt (Carl Gustav Carus, Lebenserinnerungen, I. 1865, S. 206). Auch steht außer Frage, dass „individuelle Frömmigkeit, Hingabe an die Natur, die Auffassung von Kunst als Gottesdienst auf der einen Seite und Gottesfurcht, Kreuzestheologie, Todessehnsucht und die Überzeugung von der eigenen Nichtigkeit auf der anderen Seite von Anfang an tief in Friedrich verwurzelt, ja beide Seiten als der eigentliche Antrieb zur Kunstproduktion zu verstehen“ sind, wie es Werner Busch in seinem Buch „Caspar David Friedrich. Ästhetik und Religion“ ausgedrückt hat. (S.160). Eine quasi diagnostische Begründung der Motive in einer Schwermut des Künstlers zu suchen, verstellt hingegen eher den Zugang zu seinem Werk. So hat Helmut Börsch-Supan für diesen Holzschnitt festgestellt, daß die geläufige Bezeichnung „Melancholie“ ihren symbolischen Gehalt nur zum Teil treffe, da die weibliche Gestalt keine allegorische Figur darstelle, sondern stellvertretend für den Menschen überhaupt stehe. Vielleicht genügt es in diesem Fall zu konstatieren, daß gerade das Spinnennetz, das ja nur bei absoluter Bewegungslosigkeit gebildet werden kann, auf den Zustand der Dargestellten als Handlungslose, als melancholisch Träumende verweist. (SW)