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Grisebach
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200 Adolph Menzel

Breslau 1815 – 1905 Berlin

Stehende Rüstungen (aus der Folge der Rüstkammer-Phantasien). 1866

Gouache und Bleistift auf braunem Papier. 45 × 57,9 cm (17 ¾ × 22 ¾ in.) Unten links signiert und datiert: Ad. Menzel 66

Provenienz

Hermann Pächter, Berlin / Adele Pächter, Berlin (1905) / Bruno Schellong, Berlin (1940) / Wilhelm Dien, Schloß Götschendorf (1940/41) / Graphische Sammlung Albertina, Wien (1941 von Hans Posse für das geplante „Führermuseum“ in Linz erworben, 1963 vom österreichischen Bundesdenkmalamt an die Albertina überwiesen, 2014 an die Erben nach Adele Pächter restituiert)

Addendum/Erratum

Das Blatt ist kaschiert. Lit.: Klaus A. Schröder (Hrsg.): Die Gründung der Albertina. 100 Meisterwerke der Sammlung. Ostfildern, Hatje Cantz Verlag, 2014, Kat.-Nr. 179, mit ganzseitiger Farbabbildung.

EUR 100.000 - 150.000

USD 127.000 - 190.000

Verkauft für:

3.295.000 EUR (inkl. Aufgeld)

Auktionen 229-236

Kunst des 19. Jahrhunderts, 26. November 2014

Ausstellung

Ausstellung von Werken Adolph Menzel‘s [...] zur Feier seines 70. Geburtstages am 8. Dez. 1885. Berlin, Königliche Akademie der Künste, 1885, Kat.-Nr. 59 oder 59a (?) / Ausstellung von Werken Adolph von Menzels. Berlin, Königliche National-Galerie, 1905, II. Auflage, Kat.-Nr. 312 / Adolph von Menzel, Ausstellung von Gemälden, Gouachen, Pastellen, Zeichnungen. Berlin, Galerien Thannhauser, 1928, Kat.-Nr. 130 / Adolph von Menzel 1815–1905. Ölgemälde, Gouachen, Pastelle, Aquarelle und Zeichnungen. München, Galerie Caspari, 1932, Kat.-Nr. 2, mit Abbildung / Adolph Menzel, 1815 – 1905. Das Labyrinth der Wirklichkeit. Berlin, Nationalgalerie und Kupferstichkabinett (Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz), im Alten Museum, 1997, Kat.-Nr. 118, mit Farbabbildung

Literatur und Abbildung

Julius Meier-Graefe: Der junge Menzel. Ein Problem der Kunstökonomie Deutschlands. Leipzig, Insel, 1906 / G(uido) J(oseph) Kern: Zur Menzel-Ausstellung in München 1932. In: Die Weltkunst, Jg. 6, 1932, S. 38, mit Abbildung / Versteigerungskatalog: Sammlung Wolfgang Zorer+, Berlin. Verschiedener Kunstbesitz [...]. Berlin, Hans W. Lange, 5./6.4.1940, Kat.-Nr. 90, ganzseitige Abb. Tf. 21 / Versteigerungskatalog: Gemälde und Kunstgewerbe aus der ehemaligen Sammlung J. G., Berlin. Verschiedener Kunstbesitz. Berlin, Hans W. Lange, 25.9.1941, Kat.-Nr. 31, ganzseitige Abb. Tf. 20 / Ausstellungskatalog: Menzel, der Beobachter. Hamburg, Kunsthalle, 1982, S. 162, mit Abbildung (nicht ausgestellt)

Aus der Tiefe nähern sich in blinkendem Stahl, erkennbar lärmend, Stahl auf Stahl stoßend, schwer gepanzert und behelmt (doch kaum bewaffnet), imaginäre Kriegsmänner, deren geschlossene Visiere an vermummte Terroristen unserer Tage erinnern. „Wie könnte man wohl die ganze Scene bezeichnen? – Vor der Schlacht.“ Doch schon bei dem Mann an ihrer Spitze, der bedrohlich die Grenze zwischen Bildraum und Betrachterbereich ignoriert, wendet sich der beklemmende Auftritt ins Groteske: blickt man doch im Armloch des Brustharnischs nur in eine Höhle. Zwei Helme (rechts) offenbaren ihre Leere, und die Extremitäten, besonders die Füße, verschweben in Andeutung. So materialisieren sich die Gestalten vor unseren Augen aus einem Nichts heraus, in dem sie sich wieder auflösen könnten; und auch das helle, harte Licht, das der polierte Stahl zurückwirft, entstammt keiner erkennbaren Quelle und „füllt“ den Raum nicht: der Hintergrund bleibt Papier, auf dem – rechts und oben – kleine Nebenmotive skizziert werden können. Dieser Verzicht auf stoffliche und formale Konsistenz ist gewollt und wiederholt sich in allen anderen Blättern einer Gruppe, zu deren Höhepunkten diese Komposition gehört. Sie entstand – rund 20 Blätter unterschiedlichen Formats – im Frühjahr 1866. Wohl eine der ersten Zeichnungen ist auf den 5. Februar 1866 datiert, die anderen werden bald gefolgt sein, und am 3. Mai triumphierte Menzel (in einem Brief an Paul Heyse): „Jetzt in wiedergewonnener Einsamkeit entfahren meinem Horn mehr dergl: Töne die in den 4 Jahren Hofluft hatten einfrieren müssen.“ Die vierjährige Arbeit am riesigen Bild der Krönung Wilhelms war abgeschlossen. Dafür hatte man Menzel den Gardes du Corps-Saal im Berliner Stadtschloß als Atelier zur Verfügung gestellt und die darin aufbewahrten historischen Waffen und Rüstungen teils weggeschafft, teils an die Wand gerückt. Nach dem Auszug des fertigen Krönungsbildes wurde allerlei dem Künstler gehörendes sperriges Gut im Nebenraum provisorisch zusammengeschoben, und im geleerten Saal blieben die Zeugnisse jener späten „Ritterzeit“, die Menzel damals bereits den friderizianischen Stoffen vorzuziehen begann: ein Zustand zwischen Museum und Rumpelkammer, der Neugier und Phantasie gleichermaßen herausfordern mußte. Sicherlich zuerst die Neugier, eine reflexartige, leidenschaftliche Neugier auf die genaue Beschaffenheit und Funktion der Harnische, Sturmhauben, Eisenhandschuhe, Armzeuge, auf die Artikulation der Teile, die Details der virtuosen Plattnerarbeit. Und während kleinere Blätter jeweils mehrere Motive ohne allen räumlichen Zusammenhang sammeln, entstehen einige Male auf größeren Formaten, wahren Meisterblättern, ganze Gruppen, teils wie sie wirklich an einer Wand aufgereiht stehen (wie auf einem Blatt des Berliner Kupferstichkabinetts), teils in fiktiver, gespenstisch szenischer Vereinigung. Mit einer einzigen Ausnahme aber wird durch ein betontes Nonfinito die Illusion von Wirklichkeit untergraben, und auch die hier vorgestellte Komposition wird durch kleine Studienfragmente zwischen privater „Notiz“ und verbindlichem „Werk“, zwischen Sachlichkeit und Vision angesiedelt. Zuletzt aber behauptet sich die suggestive Dingmagie, das Unheimliche, das sich in Menzels Werk immer wieder zeigt – hier ahnungsvoll im Vorfeld des „deutschen Krieges“, der sich vernehmbar seit dem Frühjahr ankündigt. In einem Brief Menzels vom 10./12. April ist die Rede von „augenrollender Bellona“ und „rasselndem Sachsen“. Im September stellte er einige der Blätter unter dem Titel „Rüstkammerphantasien“ aus, doch inzwischen hatte der Anblick sterbender und toter Soldaten im böhmischen Lazarett seinen Blick auf den Krieg gründlich ernüchtert. Claude Keisch, Berlin