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Grisebach
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10 Karl Schmidt-Rottluff

Rottluff 1884 – 1976 Berlin

Watt bei Ebbe. 1912

Öl auf Leinwand. 76 × 84 cm (29 ⅞ × 33 ⅛ in.) Unten rechts signiert und datiert: S.Rottluff 1912. Auf dem Keilrahmen Etiketten der Ausstellungen München und Paris 1970 (s.u.)

Provenienz

Baron von der Heydt, Wuppertal (?) / Prof. Dr. Kurt Forberg, Düsseldorf und St. Moritz / Privatsammlung, Norddeutschland / Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen

EUR 1.000.000 - 1.500.000

USD 1.360.000 - 2.040.000

Verkauft für:

2.720.000 EUR (inkl. Aufgeld)

Auktionen 215-221

Ausgewählte Werke, 28. November 2013

Ausstellung

2. Ausstellung. München, Galerie Hans Goltz, 1913, Kat.-Nr. 139 („Watt“) / Kollektionen. Berlin, Galerie Fritz Gurlitt, 1914, Kat.-Nr. 41 („Watt“) / Dem wiedereröffneten Museum Folkwang zum Gruß. Essen, Museum Folkwang, 1960, Tf. 17 / 10 Jahre Großer Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, 1962, Kat.-Nr. 42 / Painters of the Brücke. London, Tate Gallery, 1964, Kat.-Nr. 260 / Vom Impressionismus zum Bauhaus. Meisterwerke aus deutschem Privatbesitz. Hamburg, Kunstverein, 1966, Kat.-Nr. 75 / Sonderausstellung: S.Rottluff. Gemälde aus den Jahren 1907–1961. Düsseldorf, Galerie Wilhelm Grosshennig, 1969, Farbabbildung auf dem Titel / Europäischer Expressionismus / L’Expressionisme européen. München, Haus der Kunst, und Paris, Musée national d'art moderne, 1970, Kat.-Nr. 138, mit ganzseitiger Farbabbildung

Literatur und Abbildung

Karl Ruhrberg: Der Schlüssel zur Malerei von heute. Düsseldorf 1965, Abb. 3 nach S. 128 / 50 Jahre Overbeck-Gesellschaft Lübeck, 1918–1968. Lübeck 1968, unpag., mit ganzseitiger Farbabbildung (S. 35) / Ewald Rathke: Expressionismus. München, Schuler, 1971, m. Abbildung / Donald E. Gordon: Modern Art Exhibitions 1900–1916. Selected Catalogue Documentation. 2 Bde. München, Prestel-Verlag, 1974 (= Materialien zur Kunst des 19. Jahrhunderts, Band 14/I u. II), hier Bd. II, S. 732 u. S. 821 / Gerhard Wietek: Schmidt-Rottluff. Oldenburger Jahre 1907–1912. Oldenburg, Verlag Philipp von Zabern, 1995, S. 605, Farbabbildung 285, S. 549

Karl Schmidt-Rottluff, zusammen mit Ernst Ludwig Kirchner der konsequenteste Maler unter den „Brücke“-Künstlern, gelangt in seinem 1912 gemalten, holzschnitthaft vereinfachten Bild „Watt bei Ebbe“ an die Grenzen des Gegenständlichen. Nur zwei Komplementärfarben werden flächig aufgetragen: das tiefe Orangerot des Abendhimmels, das sich im Wasser des Watts spiegelt, und das dunkle Blau des Sandes und des Küstenstreifens im Hintergrund, das in ein unheimliches Schwarz übergeht. Schwarz sind auch die drei Fischerboote, die mit ihren sich spiegelnden Segeln das Bild in der Vertikalen strukturieren und wie eine Klammer Wasser und Himmel, die Erde und das All verbinden. Wie hatte schon der Norweger Edvard Munch, einer der Wegbereiter des Expressionismus, über sein berühmtes Bild „Der Schrei“ von 1893 geschrieben? „Ich sah auf den Fjord hinaus. Die Sonne ging gerade unter – die Wolken färbten sich rot, wie Blut. Ich empfand das alles wie einen Schrei, der durch die Natur ging. Ich glaubte, einen Schrei zu hören. Ich malte das Bild, malte die Wolken wie richtiges Blut. Die Farben schrien“ (Edvard Munch. Essen, Museum Folkwang, und Zürich, Kunsthaus, 1987/88, Nr. 30). Dieses Bild des Norwegers könnte der Chemnitzer gesehen haben, als er im Sommer 1911 Norwegen besuchte; denn es hing seit 1910 in der Osloer Nationalgalerie. Jedenfalls empfand Schmidt-Rottluff ähnliches vor der Natur, als er 1912 im oldenburgischen Dangast am Jadebusen weilte. Noch viereinhalb Jahrzehnte später berichtete der Maler, „wie eindrucksvoll für ihn immer wieder das Erlebnis von Flut und Ebbe, vom Kommen und Gehen des Wassers über das Watt mit den damit verbundenen atmosphärischen Erscheinungen und Farbenspielen gewesen sei. Eine nur schwer faßbare Urlandschaft habe sich hier aufgetan, in die es ihn – oft völlig allein - zu den unterschiedlichsten Tageszeiten hinausgezogen habe“ (Wietek, a.a.O., S. 549). Wer denkt da nicht an Caspar David Friedrich, an den „Mönch am Meer“? Oder an die zahlreichen Segelboote in den Bildern des großen Romantikers? Hundert Jahre später finden wir sie beim großen Expressionisten wieder. Sie dienen wie beim Romantiker zur Gliederung des Bildes und sind, wenn auch nur schemenhaft im Abendleuchten zu erkennen, der einzige Hinweis auf die Existenz von Menschen, die ihr Lebensschiff durch eine überwältigende, einsam machende Natur steuern müssen. Bei aller Modernität steckt gewaltiges romantisches Erbe in diesem Gemälde vom Anfang unseres 20. Jahrhunderts. Bemerkenswert ist die tautologische Bezeichnung „Watt bei Ebbe“: Da sie auch einem verschollenen, 1922 in Oldenburg ausgestellten Aquarell den Titel gab, scheint sie auf den Künstler selbst zurückzugehen