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Grisebach
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19 Emil Nolde

Nolde 1867 – 1956 Seebüll

„Landschaft (mit Regenwolke)“. 1925

Öl auf Leinwand. 73 × 88 cm (28 ¾ × 34 ⅝ in.) Unten links signiert: Emil Nolde. Auf dem Keilrahmen oben links mit Pinsel in Schwarz signiert und betitelt (mit Bleistift ergänzt): Emil Nolde Landschaft (mit Regenwolke)

Provenienz

Galerie Ferdinand Möller, Berlin / Ernst L. Bach, Essen-Bredeney (1937) / Vera Bach, Essen-Bredeney / Hans Grothe, Duisburg (Sammlung Rheingarten) / Galerie Gunzenhauser, München / Privatsammlung, Süddeutschland

EUR 1.000.000 - 1.500.000

USD 1.300.000 - 1.940.000

Verkauft für:

1.220.000 EUR (inkl. Aufgeld)

Auktionen 207-214

Ausgewählte Werke, 30. Mai 2013

Ausstellung

Emil Nolde. Stuttgart, Württembergischer Kunstverein, 1987/88, Kat.-Nr. 82, S. 242, ganzseitige Farbabbildung S. 99 / Emil Nolde. Lugano, Museum für moderne Kunst der Stadt Lugano, Villa Malpensata, 1994, Kat.-Nr. 60, S. 238, ganzseitige Farbabbildung S. 127 / Maler des „Blauen Reiter“. Paul Klee. Deutsche Expressionisten. Eine Privatsammlung. Murnau, Schloßmuseum, 2006, Kat.-Nr. 58, mit ganzseitiger Farbabbildung S. 145

Literatur und Abbildung

Auktion 193. Moderne Kunst. Hamburg, Hauswedell & Nolte, 14.-16.6.1973, Kat.-Nr. 1459, mit Farbabbildung / Katalog 2. München, Galerie Gunzenhauser, 1978, Farbabbildung S. 5

„Es gibt Menschen, welche absolut nicht verstehen können, daß wir, die es wohl auch anders haben könnten, in dieser flachen, ‚langweiligen‘ Gegend wohnen möchten, wo es keinen Wald gibt und keine Hügel oder Berge, und wo nicht einmal an den Ufern der kleinen Wasser Bäume sind. So denken wohl alle üblichen, schnell durchfahrenden Reisenden. – Unsere Landschaft ist bescheiden, allem Berauschenden, Üppigen fern, das wissen wir, aber sie gibt dem intimen Beobachter für seine Liebe zu ihr unendlich viel an stiller, inniger Schönheit, an herber Größe und auch an stürmisch wildem Leben.“ (Emil Nolde: Reisen, Ächtung, Befreiung. Köln 1988, S. 9). Emil Noldes literarische Liebeserklärung an seine nordfriesische Heimat findet in zahlreichen Ölbildern und Aquarellen ihre künstlerische Entsprechung. Auch wenn er im Laufe seines Lebens weit gereist ist und die Wintermonate üblicherweise in Berlin verbracht hat, ist seine Malerei doch tief geprägt von diesem „Land zwischen den Meeren“, der flachen Marsch mit ihren weit verzweigten Sielzügen und kleinen Seen. Immer ist die Horizontlinie in seinen Landschaftsbildern bemerkenswert tief angesetzt, um all den „Himmelsherrlichkeiten“ am Firmament größtmöglichen Raum zu geben, und häufig sind es kleine, geduckte Friesenhäuser aus rotem Klinker oder schwarze Schöpfmühlen in der Weite der Marsch, die die Darstellungen im Hier und Jetzt verankern. Ohne sie wären diese Werke Darstellungen einer zeitlos-ewigen Urnatur. Nolde bekannte einmal: „Alles Ur- und Urwesenhafte immer wieder fesselt meine Sinne. Das große, tosende Meer ist noch im Urzustand, der Wind, die Sonne, ja der Sternenhimmel wohl fast auch noch so, wie er vor fünfzigtausend Jahren war.“ (Emil Nolde: Jahre der Kämpfe. Köln 1985, S. 197) Diese Naturkraft im Bild festzuhalten und dem Betrachter einen Eindruck ihrer unvergänglichen Schönheit zu vermitteln, ist das große Anliegen des Malers. Im Gegensatz zu Noldes Landschaftsaquarellen spielt die Sonne in den Ölbildern keine große Rolle. Hauptakteure sind hier eindeutig die Wolken, die – wie in unserem Bild – vom starken Nordseewind getrieben übers flache Land ziehen und durch sturzbachartige Regenfälle flüchtig mit der Erde in Kontakt treten. Die Elemente verschmelzen hier miteinander, sie bilden eine unlösbare Einheit, die den Betrachter in all ihrer Dramatik und Wucht innerlich ergreift und zugleich einschüchtert. Es gibt einige vergleichbare Werke in Noldes Schaffen, sowohl unter den Ölbildern, als auch den Aquarellen (siehe Abbildungen), doch besitzt jedes von ihnen seinen eigenen Charakter und fängt, je nach Jahreszeit, Wetterlage oder Stunde eine jeweils andere Stimmung ein. Das Gemälde „Landschaft (mit Regenwolke)“ entstand relativ spät und zeigt Emil Nolde auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Meisterschaft. Mit sicherem Pinselstrich und beeindruckender Souveränität hält der Maler das Ereignis eines Gewitters über dem nordfriesischen Marschland fest. „Den Pinselstrich im Bild – die Handschrift – sah ich gern. Ganz nahe gesehen, wollte ich an Struktur und Reiz der Farben gleiche sinnliche Freude erleben wie in einiger Entfernung vom Bild.“ (a.a.O., S. 107) Von verblüffender Vielfalt sind die Farbnuancen in den Wolken und dem Blau des Himmels. Sie gehen ineinander über, als seien sie organisch verwachsen, als ergäbe sich ihr Zusammenspiel im Bild mit natürlicher Zwangsläufigkeit und Konsequenz. Das Rot des kleinen Reetdachhauses setzt ein reizvolles Ausrufezeichen in diesem furiosen Farbensturm aus Blau, Grau und Grün. Es war Noldes Wunsch als Maler, „daß die Farben durch mich auf der Leinwand sich so folgerichtig auswirkten, wie die Natur selbst ihre Gebilde schafft, wie Erz und Kristallisierungen sich bilden, wie Moos und Algen wachsen, wie unter den Strahlen der Sonne die Blumen sich entfaltet und blühen muß.“ (a.a.O.) Es scheint als sei in diesem Landschaftsbild dieser Wunsch in Erfüllung gegangen. Angesichts solch souveräner Künstlerschaft mag es verwundern, daß Nolde im Jahr der Entstehung dieses Gemäldes einem befreundeten Sammler gestand: „Es fällt mir schwer, Landschaften zu malen, oft erst nachdem ich sie ein oder zweimal umgemalt habe bin ich zufrieden. In meiner Produktion sind nur wenige Landschaften, die mir ebenso lieb sind als manche der Figurenbilder.“ (Emil Nolde: Briefe 1894 -1926. Hamburg 1967, S. 171) Das Gemälde „Landschaft mit Regenwolke“ wird zweifellos hierzu gehört haben. Andreas Fluck