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Grisebach
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17 Karl Schmidt-Rottluff

Rottluff 1884 – 1976 Berlin

„Landschaft mit Leuchtturm und Windmühle“. 1920

Öl auf Leinwand. 87 × 101 cm (34 ¼ × 39 ¾ in.) Unten rechts signiert: S. Rottluff. Auf dem Keilrahmen oben und rechts in Schwarz signiert, betitelt und mit Werknummer versehen: Schmidt=Rottluff „Landschaft mit Leuchtturm und Windmühle“ (2027). Rückseitig auf der Leinwand erneut die Werknummer über einer verworfenen Komposition

Provenienz

Privatsammlung, Deutschland (zeitweise als Leihgabe in der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf, Schleswig)

EUR 800.000 - 1.200.000

USD 1.036.000 - 1.550.000

Verkauft für:

976.000 EUR (inkl. Aufgeld)

Auktionen 207-214

Ausgewählte Werke, 30. Mai 2013

Ausstellung

Karl Schmidt-Rottluff. Gemälde, Mosaiken, Plastiken, Holzschnitte. Duisburg, Duisburger Museumsverein 1926 / Schmidt-Rottluff. Gemälde, Landschaften aus 7 Jahrzehnten. Hamburg, Altonaer Museum, 1974, Kat.-Nr. 18, mit ganzseitiger Farbabbildung auf dem Titel, auf S. 77 und auf dem Plakat zur Ausstellung / Karl Schmidt-Rottluff zum 100. Geburtstag. Verzeichnis der ausgestellen Werke. Schleswig, Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloß Gottorf, 1984, Kat.-Nr. 42, m. Abb. / Karl Schmidt-Rottluff. Der Maler. Düsseldorf, Städtische Kunsthalle; Chemnitz, Städtische Kunstsammlungen, und Berlin, Brücke-Museum; 1992/93, Kat.-Nr. 56, m. ganzseitiger Farbabbildung S. 123

Literatur und Abbildung

Gerhard Wietek: Schmidt-Rottluff in Hamburg und Schleswig-Holstein (= Kunst in Schleswig-Holstein, Bd. 25). Neumünster, Karl Wachholtz Verlag, 1984, Abb. S. 55 (Plakat der Ausstellung Hamburg 1974) / Ausstellungskatalog: Karl Schmidt-Rottluff, Aquarelle. Berlin, Brücke-Museum, 1991/92, S. 18, Abb. 5 (nicht ausgestellt) / Gesa Bartholomeyczik (Bearb.): Brücke-Almanach 2002. Expressionismus auf Schloß Gottorf. Schleswig, Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen, 2002, Nr. 32, Abb. S. 73 / Gerhard Wietek: Karl Schmidt-Rottluff. Zeichnungen auf Postkarten. Köln, Wienand Verlag, 2010, S. 405, Abb. S. 402 / Ausstellungskatalog: Karl Schmidt-Rottluff. Ostseebilder. Lübeck, Museum Behnhaus Drägerhaus/Kunsthalle St. Annen, und Berlin, Brücke-Museum, 2010/11, S. 76, ganzseitige Farbabbildung S. 75 (nicht ausgestellt)

„Keiner von den ’Brücke’-Künstlern hat der Ostsee über so viele Jahre die Treue gehalten wie Karl Schmidt-Rottluff. Beginnend im Jahr 1906, wurden seine Reisen und Aufenthalte zur lebenslangen Gewohnheit des Künstlers, die er erst im hohen Alter Anfang der 70er Jahre aufgab. Mit Ausnahme weniger Sommer reiste der Künstler regelmäßig für mehrere Wochen in verschiedene Regionen der Ostseeküste. Sein Radius reichte dabei von der westlichen Küste Schleswig-Holsteins bis zur Kurischen Nehrung in Ostpreußen. Fast 70 Jahre Ostsee wurden für den Künstler zu einer unerschöpflichen Inspirationsquelle, die Beschäftigung mit ihren verschiedenen Landschaften war ihm gestalterisches Experimentier- und Entwicklungsfeld. Seine Verbundenheit mit der Landschaft bestimmte ganz wesentlich sein Lebensgefühl und seine Geisteshaltung, den Schaffensprozeß und die Arbeitsweise. In seinen hier entstandenen Werken wiederum vermitteln sich diese Aspekte als Bilder gesehener, subjektiv empfundener Landschaften.“ (Christiane Remm. „Es ist meist still und die Luft angenehm.“ Karl Schmidt-Rottluff und die Ostsee – eine Landschaft als Inspiration und Refugium. Ausst.-Kat. Karl Schmidt-Rottluff. Ostseebilder. Kunsthalle St. Annen, Lübeck, Brücke-Museum, Berlin 2010/2011, S. 11) Von 1920 bis 1931 war Jershöft an der pommerschen Ostseeküste, heute das polnische Seebad Jarosławiec, Karl Schmidt-Rottluffs sommerlicher Zufluchtsort. Auf einer dreiwöchigen, gemeinsam mit seiner Frau Emy und der befreundeten Kunsthistorikerin Rosa Schapire unternommenen Küstenwanderung, hatte er das abgelegene Fischer- und Bauerndorf entdeckt. Hier fand er die Ruhe und Ursprünglichkeit wieder, die er in seinem bisherigen, mittlerweile stark von Badegästen frequentierten Sommerdomizil Hohwacht an der Lübecker Bucht verloren glaubte. „Was so einigermaßen urweltliche Landschaft ist, verschwindet in Deutschland immer mehr. Hier ist zwar auch die Landschaft jedes Jahr verändert, zumal natürlich immer die größten Bäume verschwinden – und man glaubt nicht, was ein einzelner großer Baum in der Landschaft an der Küste bedeuten kann – aber bald spürt man doch wie unveränderbar diese hinterpommersche Landschaft ist.“ (Karl Schmidt-Rottluff 1931 in einem Brief an Max Sauerlandt: Zit. nach Ausst.-Kat. Lübeck 2010/11, S.74). Am hohen Ufer gelegen, überragten die Wahrzeichen von Jershöft, der aus Backstein errichtete Leuchtturm mit Nebengebäude sowie die heute nicht mehr vorhandene Windmühle, weithin sichtbar die Umgebung. Die markanten Bauwerke erregten sogleich die Aufmerksamkeit des ehemaligen Architekturstudenten Schmidt-Rottluff. Auf einer Postkarte an Wilhelm R. Valentiner (siehe Abb.), den Autor der ersten Schmidt-Rottluff-Monographie, hielt der Künstler mit schnellen Bleistiftstrichen und lichten Aquarellfarben die ungewöhnliche Kombination aus Gelände- und Gebäudeformen fest. Was in der hochformatigen Zeichnung als spontane Übermittlung eines ersten Eindrucks erscheint, erfährt im vermutlich kurz danach entstandenen Gemälde „Landschaft mit Leuchtturm und Windmühle“ eine bedeutsame Umwandlung. Hier drückt der Maler seine Faszination für die besondere Atmosphäre des Ortes aus – eine Magie, die später auch von der Tochter der Familie, die Schmidt-Rottluff und seine Frau während ihrer Aufenthalte beherbergte, beschrieben wurde: „Es war etwas Eigentümliches um diesen Ort, der nicht viel mehr als einige hundert Einwohner hatte und an dem das allgemeine Badevolk zu normalen Zeiten keinen Gefallen fand, der aber auf Menschen eigener Prägung eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübte.“ (a.a.O., S. 76). Klar gegeneinander abgesetzte Flächen und starke Kontraste erinnern an die Technik des Holzschnitts, mit der sich der Künstler während der Jahre des Ersten Weltkrieges intensiv beschäftigt hatte. Zugleich künden die gesteigerte Strahlkraft der Farben und der lockere, fast skizzierende Pinselstrich von neuer Gestaltungsfreiheit. In einer bis zur Abstraktion reduzierten Darstellung setzt der Maler das Rotbraun der lehmigen Steilküsten, das Ocker der Sanddünen, das Grün der Wiesen und Felder unter einen sphärisch gekrümmten Horizont. Die gesamte Bildfläche scheint in Bewegung, wie im Sturm kippt der Leuchtturm zur Seite, die Windmühle wird zur rotierenden Scheibe. Ineinander verschränkte Blautöne bilden ein Himmelsgewölbe, das Tag und Nacht zu einem tiefen kraftvollen Farbklang, einer kosmischen Vision vereint, durchzogen von der Melodie eines wellenartig schwingenden Lichtstreifens. Neben den Landschaftsdarstellungen wandte sich Karl Schmidt-Rottluff in Jershöft dem Themenkreis der Fischer, Bauern und Handwerker in ihrem Arbeitsalltag zu – ähnlich wie zuvor Ernst Ludwig Kirchner in der Schweiz die Lebenswelt der Davoser Bergbauern als Motiv für sich entdeckt hatte. Wie Leuchtturm und Windmühle werden auch die von Schmidt-Rottluff gezeigten, ganz im Rhythmus ihrer Tätigkeit aufgehenden Menschen zu Ausdrucksträgern einer umfassenden Weltsicht. Wucht und Leuchtkraft der Farben sowie eine feier-liche Monumentalität und sinnbildhafte Konzentration kenn-zeichnen die Jershöfter Arbeiten der 1920er Jahre. Mit ihnen hat Karl Schmidt-Rottluff nach den Kriegsjahren dem Expressionismus noch einmal völlig neue Impulse zu geben vermocht. Susanne Schmid