Auktion Nr. 310 am 27. November 2019, 15 Uhr
Den Auftakt der diesjährigen Herbstauktion machen zwei herausragende Zeichner der deutschen Romantik: Die Künstler-Brüder Ernst und Bernhard Fries. Die Arbeiten aus dem Künstlernachlass zeigen die erstaunliche Bandbreite ihres höchst virtuosen, „privaten“ Schaffens, das von den 1820er bis 1870er Jahre reicht (Lose 100-120).
Europäische Kunst- und Museumsgeschichte vereinen sich in einem Werk von königlicher Provenienz: bereits 1849 erwarb König Ernst August I von Hannover mit dem „Wüstensandsturm“ ein Hauptwerk des „ersten Berliner Orientmalers“ Hermann Kretzschmer (Los 128, 120.000- 150.000 EUR). Die erste Fassung gehört zur Gründungssammlung des Museums der bildenden Künste Leipzig. Unser Gemälde war als Dauerleihgabe noch bis in jüngste Zeit im Hannoverschen Landesmuseum zu sehen. In Kretzschmers sinnlichem Seherlebnis ndet die von Künstlern wie Eugène Delacroix gefeierte Orientbegeisterung ein ausdrucksstarkes nordisches Pendant.
„Kennst du das Land...?“ - Niemand hat unser Italienbild so stark geprägt wie Johann Wolfgang von Goethe. Selbst geschult von Künstlerfreunden wie Heinrich Wilhelm Tischbein und Jacob Philipp Hackert zeichnete der Dichterfürst sein Italien um 1810 aus der Erinnerung. Der erste Besitzer der Zeichnung „Gebirgssee in südlicher Landschaft“ (Los 147) war der bedeutende Berliner Architekt Johann Heinrich Strack, dem Goethe das Blatt 1830 möglicherweise noch persönlich schenkte. Das kostbare Unikat wird mit einer Schätzung von 40.000-60.000 EUR angeboten.
Die Österreichische Galerie Belvedere in Wien restituierte ein weiteres Schmuckstück aus der bedeutenden Kunstsammlung des Verlegers Rudolf Mosse: Die „Parklandschaft in Plankenberg“ von 1887 von Emil Jakob Schindler (Los 181; SP: 50.000-70.000 EUR) ist ein Hauptwerk des „poetischen Realismus“. Der berühmte Künstler hatte eine bald (noch) berühmtere Tochter - Alma Mahler, die umschwärmteste femme fatale ihrer Zeit, Geliebte von Gustav Mahler, Oskar Kokoschka und Walter Gropius. Unser Bild zeigt sie als Kind beim Pflücken des duftig-blühenden Flieders im Garten des Familienanwesens.
Schon vor 120 Jahren trat Karl Wilhelm Diefenbach in Kutte und Sandalen vor die Öffentlichkeit, predigte gegen den „Verzehr von Tierfetzen“, schrieb in großen Lettern das Motto „Humanitas“ über die Pforten seiner Kommune und wanderte – konsequent zu Fuß – über die Alpen. Damals als „Kohlrabi-Apostel“ verspottet, erscheint er uns heute als Vordenker eines ökologischen Utopia, als Prophet einer „anderen Moderne“. Mit „Ephebe“ (Los 223, SP: 15.000-20.000 EUR) und „Nächtliches Bad bei den Faraglioni“ (Los 224, SP: 10.000-15.000 EUR) präsentieren wir zwei Hauptwerke, die wohl noch bei dem auf Capri lebenden Künstler persönlich erworben wurden und bis heute in Familienbesitz verblieben.
Weitere Highlights sind Lovis Corinths „Bacchant” von 1913 (SP: 100.000-150.000 EUR) und ein frühes Werk von Max Liebermann: Der „Bauernhof in Barbizon” (SP: 80.000-120.000 EUR) ist in Form, Format und Ausführung ein einzigartiges Zeugnis seiner für sein Œuvre so zentralen Auseinandersetzung mit den Barbizonisten.
Dresden 2.0 – so lautet der Schlussakkord der diesjährigen Herbstauktion. Die „Enkel“ von Caspar David Friedrich und Co. setzen neue Akzente an der ehrwürdigen Akademie. Nicht mehr Natur und Landschaft bilden ihr Hauptinteresse: auf dem Prüfstand steht der Mensch und seine physische und psychische Erscheinung, die erbarmungslos nüchtern inspiziert wird. Porträtierte Modelle werden zu Zeitkommentaren einer modernen Gesellschaft. Tommy Todtmann, ein afrikanisches Akademiemodell, steht mit verschränkten Armen lässig – irgendwo. Wir könnten ihm heute noch an der nächsten Kreuzung begegnen. Nicht nur der bekannte Impressionist Robert Sterl setzte ihn malerisch in Szene, sondern auch sein Kommilitone Max Pietschmann, dessen Todtmann-Porträt unser Cover ziert (Los 237, SP: 6000-8000 EUR). Pietschmanns ausgeleuchtete weibliche Rückenakte verweisen dagegen mehr auf die unterkühlte Schönheit der Realismus-Avantgarden des 20. und 21. Jahrhunderts (Los 236 und 241; SP: je 3000-4000 EUR). Osmar Schindlers „Germanischer Krieger mit Helm“ von 1902 (SP: 6.000-8.000 EUR) wiederum verfügt zwar über die erforderliche Heldenstatur, seine Ausstattung und die rot geschminkten Lippen jedoch erscheinen burlesk. Moderne Typen werden zu Hauptakteuren einer mutigen Kunst, die zu entdecken sich lohnt – eben weil sie mit so unverblümter Direktheit zu uns spricht.